Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
Wandererfantasie. Als der geniale Franz Schubert dieses Klavierstück einmal vorführte, stolperte er über eine besonders schwierige Passage und sagte dann nur ärgerlich: »Das Zeug soll der Teufel spielen!«
Strettaletta
Was ist der Unterschied zwischen einer
Stretta und einer Cabaletta?
Beide Begriffe sucht man in dem vielbändigen Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart vergeblich. Ich habe nachgeschlagen unter S wie »Stretta« und unter C wie »Cabaletta« – kein Eintrag. Das ist verwunderlich, denn Liebhaber der klassischen Musik benutzen die Begriffe relativ häufig.
Stretta bezeichnet die effektvolle, oft virtuose Schlusssteigerung einer Komposition. Die Cabaletta hingegen ist ein Phänomen der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts. Zum Beispiel kommt sie im ersten Akt der La Traviata vor. Sie beschreibt den raschen Schluss einer Arie und ist eine Art Untergruppe der Stretta.
Strettas kommen auch in Opern vor. So zum Beispiel am Schluss des dritten Aktes von Troubadour die berühmte Stretta des Manrico mit mehreren hohen C. In Dresden hatte einmal ein ungeliebter Tenor diese Stretta sehr schön gesungen. Weil die Leute wie verrückt klatschten, musste er sie noch einmal singen. Und noch einmal. Und noch einmal. Schließlich fragte ein fremder Opernbesucher seinen Sitznachbarn, warum das Publikum den armen Tenor so oft die schwierige Stretta singen lasse. Da bekam er zur Antwort: »Den machen wir fertig!«
Besonders wichtig ist der Begriff Stretta in der Instrumentalmusik. Beethovens berühmte Waldstein-Sonate endet mit einem Prestissimo. Da muss der Pianist verschiedene Oktaven enorm beschleunigen. Maurizio Pollini, auf diese schwierige Passage angesprochen, erklärte selbstbewusst: »Man darf nur keine Angst davor haben, dann sind die Oktaven ganz leicht.«
Der interessanteste Komponist von Stretta-Wirkungen ist für mich Franz Schubert, der eigentlich eher als lyrisch-liedhaft gilt. Die Stretta, die er im letzten Satz seines ergreifenden d-Moll-Streichquartetts Der Tod und das Mädchen komponiert hat, überwältigt mich immer wieder. Diese Ganztöne! Diese Wirbel der Wehmut! Auch der erste Satz seiner C-Dur-Symphonie schließt mit einer gewaltigen, harmonisch erfüllten Beschleunigung. Das hat Karl Böhm ausgezeichnet dirigiert, während Sergiu Celibidache, dem Meister der Langsamkeit, solche Steigerungen weniger lagen.
Sensibel im Salon
Was charakterisiert den Klang von
Frédéric Chopin?
Früh schon wurde Chopin für die »ausgezeichnete Zartheit seines Anschlags« gerühmt. Zugleich hielt man ihm immer wieder vor, dass er, das Wunderkind aus Warschau, viel zu leise spiele. Richtig ist, dass ihm öffentliche Auftritte Angst machten. Nicht in die Konzerthallen zog es ihn, sondern in die polnischen, österreichischen und französischen Salons. Selbst dort konnte es passieren, dass er zwar fröhlich dinierte, die Bitte um eine Klaviereinlage aber schroff zurückwies. Er hatte einfach keine Lust auf extrovertiertes Getue.
Dazu passt die Geschichte einer Begegnung mit dem russischen Musikwissenschaftler Wilhelm von Lenz. Kaum war der letzte Ton von Beethovens Trauermarschsonate verklungen, stürzte Wilhelm von Lenz auf Chopin zu und sagte: »Schön und gut, aber das war doch wieder viel zu leise, viel zu undeutlich, überhaupt nicht sonor.« Chopin antwortete: »Ich deute an, der Zuhörer selbst muss das Werk vollenden.« Kann man sich mit dieser Antwort zufriedengeben?
Sie kann eigentlich nur seine Haltung als Interpret widerspiegeln. Denn die Werke von ihm verlangen große Dramatik, Sonorität, Fortissimo-Brillanz. Dies gilt besonders für die Balladen und Scherzi. Die kann man nicht leise, harmlos und mit zurückhaltender Noblesse spielen.
Das haben auch Chopin-Interpreten wie Maurizio Pollini, Christian Zimmermann, Arthur Rubinstein oder Dinu Lipatti begriffen. Pollini und Zimmermann bewältigen zum Beispiel die zweite Chopin-Sonate technisch makellos und mit großer Energie. Das Klangbild ist stark und groß, die Interpretation gut und durchdacht. Bei dem Mitschnitt Rubinstein live in Moskau von 1964 fällt auf, wie aggressiv Rubinstein die b-Moll-Sonate darbietet. Und die von Lipatti eingespielte h-Moll-Sonate glänzt mit einem walkürenrittähnlichen Finale.
Natürlich gibt es Kompositionen von Chopin, die eine feine, zarte Spielart erfordern, die Nocturnes etwa oder manche Walzer. Doch Chopin war ein stolzer Pole, nicht als Mensch, aber als Künstler. Von diesem
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