Sprechende Maenner
verstehst du, was ich meine?
aw:
Lieber Vaterunser, ich bin nur ein Zaungast. Ich stehe manchmal am Gartentor rum und schaue den Familien beim Leben zu. Warum ich da stehe? Weil mich Freunde, die Kinder haben, einladen, anrufen, mit Familieninformationen versorgen, weil ich Kontakt zu Familien habe. Darum stehe ich da am Gartentor und schaue euch ein bisschen zu. Ich will ehrlich sein, in den allermeisten Fällen könnte ich gut drauf verzichten. Vielleicht ist das emotionale Kälte, wie du schreibst. Ich möchte das nicht entscheiden. Ich kann nur sagen, ich fühle mich nie wohl, dort am Gartentor.
Ich verspüre keine Abscheu gegen Häuslichkeit, Familie, Kinder, Mo nogamie, Windeln und Früh-ins-Bett-Gehen. Es interessiert mich nur nicht besonders. Nicht jetzt. Es ist einfach nicht mein Thema, verstehst du? So wie Ãlraffinerien, der Dow-Jones-Index und Biathlon auch nicht meine Themen sind.
Biathleten verstehen das. Zu einem Biathleten kann man sagen: Lass uns über was anderes reden als Skiwachs. Zu einem jungen Vater kann man nicht sagen: Lass uns über was anderes reden als den Brei vom kleinen Kai.
Junge Väter tragen ihr Glück in die Welt. Man muss teilhaben. Man muss am Telefon fragen: Und wie gehtâs Kai?
Ich meine, wie soll es Kai denn gehen? Kai ist drei oder vier. So gehtâs Kai.
Ich bin übrigens auch Patenonkel, wusstest du das? Also kein echter Patenonkel, so mit Taufe, Urkunde und Adoption, falls die Eltern beim Bergsteigen ums Leben kommen. Eher so Patenonkel ehrenhalber. Ich hätte das trotzdem absagen sollen, schlieÃlich bin ich völlig ungeeignet. Wahrscheinlich habe ich aber auch gedacht: Wenn ihr mich zum Patenonkel macht, wisst ihr ja, was ihr bekommt. Aber so funktionieren Eltern nicht. Sie denken: Wir vergeben hier einen Traumjob. Den Jackpot. Du bist Patenonkel! Du bist der Auserwählte! Und dann muss man sich in ihre Arme werfen und wimmern: Ich werde mich ändern, das Amt wird mich prägen, ich werde der beste Patenonkel der Welt!
Patenonkel ist eigentlich Quatsch. So wie Verlobung. Ein Patenonkel ist dafür da, dass die Eltern sagen können: Unser Kind hat einen Patenonkel! Man muss ihr Kind bewundern, so wie der Hofnarr.
Mein Patenkind ist vor ein paar Wochen ein Jahr alt geworden. Ich habe den Geburtstag vergessen. Ich habe nicht angerufen.
Der Vater, mein Freund, war darüber enttäuscht.
»Du hast nicht angerufen«, sagte er.
»Nee, habe ich nicht«, sagte ich.
»Schade«, sagte er. »Wir dachten, du rufst an.«
»Aber warum?«, sagte ich. »Max ist ein Jahr alt. Max kann nicht mal reden. Max weià nicht mal, wer ich bin oder was ein Geburtstag ist, Max weià ja nicht mal, wer er selbst ist. Warum soll ich mit ihm reden? Worüber? Ãber die Lage in Ãgypten?«
Ich sehe ja auch immer die Enttäuschung, wenn ich junge Eltern besuche und ich nichts für die Kinder mitgebracht habe. Einen Lut scher oder ein Ãberraschungsei oder Brausepulver zum Aus-der-Tüte- Lecken. Tut mir leid, aber ich bin schon viermal Onkel und einmal Patenonkel, ich bin ausgebucht und ja auch der Elternbesuch, nicht der Kinderbesuch. Wenn ich jemanden besuche, der drei Hunde hat, bringe ich ja auch keine Tüte Rindfleisch mit.
re:
Lieber Pate, ich glaube, ich verstehe dich immer besser. Du bist ein bisschen verwildert. Was normal ist nach all diesen Jahren. So verstehe ich auch die Sache mit dem Patenonkel. Da versucht jemand, den Onkel Jochen mit an den Tisch zu setzen. Es ist eine Resozialisierungskampagne. Ein Integrationsprogramm für herrenlose Singles. Jemand will dir was Gutes tun. Meinst du allen Ernstes, die hätten dich einfach so zum Patenonkel ernannt?
Dem gingen vermutlich wochenlange Diskussionen voraus. Dein Freund, der dich sehr mögen muss, hat zu seiner Frau gesagt: »Gib doch Jochen mal eine Chance.« Und die Frau hat geantwortet: »Ja, aber warum muss gerade unser kleiner Max alles ausbaden? Ist er schuld daran, dass Jochen keine Frau findet?« Und so ging es hin und her, und schlieÃlich ist die Frau deines Freundes weinend rausgerannt und hat mit Scheidung gedroht. Aber dein Freund hat nicht lockergelassen, weil er an dich glaubt. An den Menschen in dir. Und du rufst nicht mal an, wenn der kleine Max Geburtstag hat? Shame on you!
Dieses Gartentorgefühl, das spürt man natürlich. Ich auch. Familien machen dich nervös. Das ist wie mit den Vampiren
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