Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
Vom Netzwerk:
Vorstufe zum Vatersein, was mich dem Vatersein aber noch keinen Schritt näher gebracht hat. Ich würde vielleicht, unter Umständen gerne Vater sein. Aber erst mal so theoretisch. Oder, besser gesagt: Es gibt keinen emotionalen Wunsch, eher einen gedanklichen Ansatz.
    re:
    Was empfindest du für Kinder?
    aw:
    Ich empfinde nichts, wenn ich Kinder sehe. Keine gesteigerte Freude oder Begeisterung. Sie sind kleine Menschen mit seltsamen Ess- und Schlafgewohnheiten und einem temporären Gebiss. Ist das schlimm, roh?
    Ich frage mich manchmal, ob ich da so eine Fehlfunktion habe, irgendeine Störung. Ich empfinde jedenfalls nicht mehr, als wenn ich ein grünes Gebüsch sehe oder eine gelbe Straßenbahn.
    Hattest du einen Kinderwunsch, so am Anfang? So wie ihn Frauen haben?
    Pränatale Grüße!
    re:
    Lieber Onkel Jochen, ob ich einen Kinderwunsch hatte? Ja. Die Frage ist nur, woher dieser Wunsch kam. Es ist so, dass Frauen, besonders Ehefrauen, eine Sache hervorragend beherrschen: Gedankenübertragung. Selbst nach siebzehn Jahren engen Zusammenlebens weiß ich nicht genau, wie sie es machen. Aber sie machen es, da kannst du sicher sein.
    Ich vermute, sie tun es nachts. Es ist mir schon mehrmals passiert, dass ich abends friedlich mit einer meiner Lieblingsfantasien (Variante 1: Ich gewinne im Lotto. Variante 2: Ich habe einen Bestseller geschrieben. Variante 3: Ich habe Sex mit einer Frau ohne Gesicht) eingeschlafen bin und am nächsten Morgen plötzlich ein unstillbares Verlangen spürte, Wäsche zu bügeln oder den Einkauf zu machen. Wie soll das ohne Gedankenmanipulation passiert sein?
    Frauen, besonders Ehefrauen, geben einem das Gefühl, man selbst sei auf die Sachen gekommen, die sie sich vorher ausgedacht haben. Sie feiern uns als Bestimmer, aber eigentlich bestimmen nur sie. Es ist so eine Art Wohlfühldiktatur, wenn du weißt, was ich meine.
    Kann sein, dass es mit dem Kind genauso war. Wobei ich sagen muss, dass ich Kinder schon immer mochte. Mehr jedenfalls als Gebüsche oder Straßenbahnen. An dem Punkt spüre ich eine seltsame emotionale Kälte bei dir.
    Solltest du mal drüber nachdenken.
    aw:
    Mach ich. Aber denk du doch erst mal über Folgendes nach: Kann man eigentlich Vater sein und trotzdem ein Mann bleiben?
    re:
    Nein. Jedenfalls nicht in diesen Zeiten. Früher ging das vielleicht. Da zeugte der Vater ein paar Kinder, zog sich mit der Zeitung und der Zigarrenkiste in die Bibliothek zurück und ging mit seinen Kumpels am Sonntag zum Pferderennen. Und siehe da, nach zwanzig Jahren waren die Kinder schon groß und aus dem Haus. Heute ist das anders.
    Es beginnt, wenn das erste Ultraschallbild da ist und du auf die Frage deiner Frau, ob du die Ähnlichkeit mit ihrer Familie siehst, mit Ja antwortest. Es geht weiter in den Geburtsvorbereitungskursen, in den langen Gesprächen bei Kerzenschein und Mineralwasser mit deiner Frau, die von ihr stets mit den Worten: »Findest du nicht auch …« begonnen werden. Catherine hatte eine Videokamera bei uns im Wohnzimmer aufgestellt, und ich musste sagen, wie ich mir unser Kind vorstelle, wie ich mir mein Leben als Papa vorstelle.
    Ich habe Erziehungsbücher gelesen, bin zum Säuglingsschwimmen gegangen, habe auf Elternversammlungen Lampions gebastelt. Ich habe in Buddelkisten gesessen und bei der Einschulung geweint. Jedes Mal geht ein winziges Millimeterchen deiner Männlichkeit verloren. Du spürst es nicht, Jochen.
    Es geht alles so gemächlich vor sich, dass du das Gefühl hast, du hättest dich eigentlich gar nicht verändert. Mit den Jahren verblasst die Erinnerung an dich selbst. Du vergisst, wer du einmal warst.
    Wenn Catherine und die Kinder mal wegfahren, fühle ich mich nach spätestens einer Woche verloren. Ich gehe dann in dieser großen, stillen Wohnung umher und habe keine Ahnung, was ich machen soll.
    Wahrscheinlich ist es dumm, dir das alles zu erzählen. Es erzeugt ein falsches Bild, schreckt dich ab. Die Wahrheit ist, lieber Jochen, es gibt nichts Schöneres, als Vater zu sein. Auf einmal sind da so kleine Wesen, die aus dir selbst entstanden sind, die du bedingungslos liebst und die dich brauchen. Du kannst ihnen zeigen, wie die Welt funktioniert, kannst mit ihnen einen Iglu bauen oder an einem See zelten. Du wirst dich nie wieder so nützlich und geliebt fühlen. Und das mit der Männlichkeit kannst du verschmerzen.
    Es ist kein Wert an sich,

Weitere Kostenlose Bücher