Sprechende Maenner
reinzustopfen, weil man mir gesagt hatte: Er mag Kuchen. Er musste ständig würgen, und ich wusste nicht: Ist er jetzt satt, oder isst er immer so? Sein ganzer Mund war verschmiert, und dann schmiss ich den Kuchen ins Gras und rannte weg. Ich konnte das nicht. Ich hab den Behinderten stehen, na ja, sitzen lassen, dort im Gemeindehausgarten, und rannte nach Hause. Ich fühlte mich überfordert. Ich war ein Kind. Kein Pfleger. Die moralische Verpflichtung, das Gutsein fand ich oft belastend, damals.
Womöglich schwingt das heute noch mit.
Werde ich mich ändern, jetzt? Engagierter werden?
Ich neige zum Realismus bei Menschen und damit auch bei mir. Erwarte deshalb nicht zu viel, Maxim. Ich könnte mal spenden. Nicht gleich Organe, aber Geld.
PS : Ich muss leider schnell los. Habe eine Verabredung.
re:
Weiblich? Etwa 1,70 Meter groÃ?
aw:
Gut möglich.
re:
Ha! Näschen! Viel SpaÃ, mein Lieber. Ich erwarte Montag einen sehr detaillierten Bericht pünktlich auf meinem Tisch!
Tag 27
An dem eine humpelnde Frau aus Brasilien auftaucht, die einiges durcheinanderbringt
Lieber Jochen, ich dachte, wir wären uns da einig. Detaillierter Bericht heute auf meinem Tisch. Es ist jetzt 8.00 Uhr, und mein Tisch ist leer. Du bist stumm wie Holz. Rede mit mir! Rede! Wie war das Treffen?
Drei Stunden später
Lieber Jochen, was ist los? Ich habe dir vor drei Stunden geschrieben. Du bist anscheinend nicht am Arbeitsplatz. Die einzige Entschuldigung, die ich vielleicht akzeptiere: Du erlebst gerade etwas sehr Schönes. Etwas sehr Schönes zwischen Mann und Frau. Und du erzählst mir davon!
aw:
Ich habe irgendwie das Gefühl, das Einzige, was dich sexuell noch bewegt, sind die Bewegungen anderer Leute. Traurig, traurig â¦
re:
Jochen, wie war das Treffen?!
aw:
Sie kam auf Krücken. Sie humpelte mir entgegen, aber sie humpelte irgendwie schön, soweit das möglich ist. Sie beschwerte sich nicht über ihren Bänderriss im FuÃ, sie blinzelte in die Sonne, sie kramte eine groÃe Fliegensonnenbrille aus der Handtasche, setzte sich mir gegenüber und sagte: »Was trinkst du da? Eine WeiÃweinschorle und eine Kanne schwarzen Tee? Komische Kombination.« Und damit hatte sie völlig recht.
Sie hatte keine Angst, das Treffen war ihr nicht unangenehm, und wir konnten reden. Locker reden. Sie erzählte, dass sie aus Hannover komme, aber in São Paulo geboren wurde. Ihre Mutter sei Brasilianerin, ihr Vater Deutscher. Ihre Mutter starb früh, die Beziehung zu ihrem Vater sei sehr schwierig. Ich schaute sie an, und sie wirkte nicht sehr brasilianisch bis auf ihre sehr schwarzen Haare und ihre sehr schwarzen Augenbrauen. Aber Brasilien war trotzdem nicht schlecht. Besser als Hannover.
Sie heiÃt Anna. Sie ist Ãbersetzerin für Spanisch und Portugiesisch, arbeitet aber für eine amerikanische Filmfirma. Sie verkauft Filme in die ganze Welt. Sie wirkt, das fiel mir auf, irgendwie streng, was, wie mir später auffiel, mit ihrem Akzent zusammenhängt. Ich meine, sie hat keinen, Maxim. Null Akzent. Sie spricht dieses wasserklare Hannover-Deutsch, wie eine verdammte Deutschlehrerin. Ich versuchte nicht zu berlinern.
»Du sprichst komisch«, sagte sie.
Anna hat etwas Respektloses. Sie nimmt mich nicht ganz ernst.
»Ich kann das Berlinern auch ausschalten«, sagte ich. »Also ich kann umschalten, meine ich. Auf Hochdeutsch.«
»Musst du nicht«, sagte sie.
Ich schaute manchmal auf den einen FuÃ, den ohne Gips. Er ist hübsch. Auch der Rest von Anna ist hübsch. Die Frage »Willst du mit ihr schlafen« stellte sich nicht, aber ich denke: Ja.
Nach zwei Stunden musste ich los, zu einer Grillparty.
»Schade«, sagte ich.
»Macht doch nichts«, sagte Anna. »Ich schick dir mal meine Handynummer«.
Dann humpelte sie nach links, auf ihren Krücken, die StraÃe hinunter. Ich ging nach rechts, die StraÃe hinauf.
re:
Lieber Jochen, weiÃt du, was für die 1,70-Meter-Frau spricht? Ich meine neben dem Umstand, dass sie schöne FüÃe hat und halb aus Brasilien kommt? Für sie spricht vor allem, dass sie dich offensichtlich gar nicht zum Nachdenken hat kommen lassen. Das ist zumindest mein Eindruck. Ich habe das Gefühl, sie hat dich überrascht. Wie sie da so auf Krücken ankam und sich über deine Getränke und deine Sprache lustig gemacht hat, das hat dir gefallen. Ich weià nicht, ob dir
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