Sprengkraft
blauen Golf. Er sprach sie an: »Wie war’s?«
Tränen traten in ihre Augen. Veller nahm sie in den Arm. Anna krallte sich an ihn und heulte gegen seine Schulter. Völlig fertig, die Frau. Kein Wunder.
Er stellte sich die Kollegen vor, die von ihren Büros aus zusahen. Lass sie tratschen, dachte er.
»Willst du den Tag freinehmen?«, bot er an.
»Nein, bloß nicht.« Anna wischte sich die Tränen ab. »Fährst du zum Innenministerium?«
»Ja.«
»Ich komme mit.«
Während der kurzen Fahrt fasste Veller den Verlauf der Morgenbesprechung zusammen: »Wir müssen wieder die Möglichkeit berücksichtigen, dass die Explosion einen rechtsextremistischen Hintergrund hat. Erinnerst du dich an den Mann, den eine Türkin im Vorderhaus gesehen haben will?«
»Ja. Und da war auch noch ein Auto.«
»Tatsächlich?«
»Als Zander und ich im Hof waren. Kurz nach dem großen Knall wurde es vor dem Haus gestartet.«
»Was für ein Auto?«
»Gesehen habe ich es nicht, nur gehört.«
»Ein sattes Brummen oder eher ein Knattern? Hatte der Motor eine Eigenart, vielleicht Aussetzer?«
Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Vielleicht erinnerst du dich später.«
»Ja, vielleicht.«
Sie erreichten das Ministerium. Diesmal öffnete sich die Schranke zum Parkplatz anstandslos.
»Es war sehr schön, heute Nacht«, sagte Veller.
»Geht mir auch so …«
»Anna …«
Sie räusperte sich und unterbrach ihn. »Heute Abend kommt Jonas von seiner Dienstreise zurück.«
Vellers Herz zog sich zusammen. Ihr Freund, der Chemiker und Brandursachenspezialist. Veller hatte diese Konstellation zu oft erlebt, um nicht damit zu rechnen, letztlich der Verlierer zu sein. Doch dieses Mal würde es ihm wehtun.
»Ihr liebt euch nicht wirklich«, sagte er.
»So einfach ist das nicht, Paul. Wir sind immerhin seit über drei Jahren zusammen, Jonas und ich.«
Veller antwortete nicht darauf. Anna musste selbst wissen, was sie wollte. Mit Aufdringlichkeit würde er bei ihr nichts erreichen.
Er stellte den Motor ab und stieg aus. Reiß dich zusammen, dachte Veller. Tu deinen Job.
Günther Koch vom Referat für Grundsatzangelegenheiten und Auskunftsersuchen holte sie beim Pförtner ab. »Sie haben Verstärkung mitgebracht?«, fragte der Verfassungsschützer gut gelaunt.
Veller stellte seine Kollegin vor. »Kriminaloberkommissarin Anna Winkler, Tatortspezialistin bei der Polizei Düsseldorf, die unsere Ermittlungsgruppe verstärkt.«
»Günther Koch, Innenministerium«, entgegnete der Bärtige und gab Anna die Hand. »Tatortspezialistin? Ich finde toll, was Sie leisten. Ich verpasse keine Folge von CSI!«
Der Kerl ging voraus. Anna warf Veller einen Blick zu und verdrehte die Augen.
Sie fuhren in den sechsten Stock. Dort brachte Koch sie in ein Zimmer, das mit Tisch, Aktenschrank und nur zwei Stühlen spärlich möbliert war.
»Nehmen Sie sich Zeit, so viel Sie brauchen«, sagte Koch und setzte sich auf das Fensterbrett, um die Ermittler im Auge zu behalten. Zwei dicke und zwei dünnere Akten lagen auf dem Tisch.
Auf jedem Deckel ein roter Stempel: geheim – amtlich geheim gehalten.
Veller nahm sich den Auswerterbericht, Anna griff nach der umfangreicheren Fallakte.
Nach kurzem Blättern blickte Veller auf. »Hier sind jede Menge Stellen geschwärzt.«
»Bei mir auch«, sagte Anna.
Koch kratzte sich den grauen Stoppelbart. »Trotzdem müssen Sie zugeben, dass wir in ungewöhnlichem Umfang kooperieren. Und dass wir nichts Relevantes zurückhalten. Wie Sie dem Vorgang entnehmen können, zählen wir die drei Angehörigen der Düsseldorfer Zelle zum dschihadistischen Flügel der Salafiya, also derjenigen Bewegung, die sich streng am Koran und dem Leben des Propheten orientiert, Andersdenkende als Feinde ansieht und der Scharia weltweite Geltung verschaffen will. Nach der Erfahrung von Montagabend müssen wir eingestehen, dass Yassin alias Dennis Scholl uns nur sehr lückenhaft informiert hat. Wir wussten, dass sich die Gruppe an radikalen Webseiten und Predigten extremistischer Imame hochgeschaukelt hat, nicht jedoch, dass die Männer schon selbst einen Anschlag planten.«
»Der V-Mann-Führer wird nirgendwo genannt«, beschwerte sich Anna.
»Wer ist es?«, fragte Veller.
»Seit der Bombenexplosion hat unsere Behörde alle Aufzeichnungen über Yassin eingehend geprüft und vergeblich nach Hinweisen auf mögliche Komplizen gesucht. Es steht Ihnen völlig frei, das Gleiche zu tun. Wenn Sie
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