Sprengkraft
überreden, seine Schäfchen zur Mitarbeit aufzufordern.
»Fragt die Leute nicht bloß nach Rafi, Said und Yassin«, bat Veller. »Aber auch nicht direkt nach einem möglichen rechtsextremistischen Hintergrund. Fingerspitzengefühl ist gefragt. Eine Hysterie wie in Mainz, wo Türken auf deutsche Feuerwehrleute losgegangen sind, kann niemand gebrauchen.«
Dombrowski resümierte: »Halten wir also fest: Möglicherweise wurde die Bombe ferngezündet, es gibt also noch eine vierte Person, ob Neonazi oder auch nicht, und er muss telefoniert haben, um die Detonation auszulösen.«
»Richtig«, stimmte Veller zu. »Wir brauchen eine Funkzellenauswertung. Ich kümmere mich darum. Wer sonst nichts zu tun hat, setzt sich an die Aufzeichnungen der Telefonüberwachungen und geht noch einmal sämtliche Kontaktpersonen durch.«
Die Sitzung löste sich auf. Veller eilte in sein Büro, rief im Landesamt für zentrale Polizeidienste an und bekam den zuständigen Kollegen an die Strippe. Veller schilderte seinen Fall und nannte Adresse und Uhrzeit der Detonation vom 16. März.
Jedes eingeschaltete Handy wählte sich automatisch ins Mobilfunknetz ein, indem es sich den nächstgelegenen Sendemasten suchte. Die Antennen der Netzbetreiber definierten Waben oder Funkzellen. Jede Einwahl wurde gespeichert: Ort, Uhrzeit, Telefonnummer. Wer sich mit eingeschaltetem Handy durch die Stadt bewegte, von Wabe zu Wabe, meldete sich ständig neu an und hinterließ, meist ohne sich dessen bewusst zu sein, ein Bewegungsbild – die Chance, den ominösen vierten Mann dingfest zu machen, wie Veller hoffte.
»Bis wann kann ich mit den Daten rechnen?«, fragte er.
»In diesem Jahr müsste es noch klappen.«
»Das war ein Scherz, oder?«
»Ja, beruhige dich, Kollege. Kann es sein, dass ihr vom LKA in letzter Zeit etwas dünnhäutig geworden seid?«
61.
Anna stürmte die Treppe zu Zanders Wohnung hoch. Sie hatte eingesehen, dass sie bei Grüters Vernehmung nichts zu suchen hatte – die Erregung über den Mord würde sie alle Regeln der Befragungstaktik vergessen lassen. Aber sie hatte das Gefühl, irgendwie bei der Ermittlung helfen zu müssen. Als sei sie dem Padre etwas schuldig.
Thilo schleppte den Einsatzkoffer und keuchte Anna hinterher. Sie nahm zwei Stufen auf einmal, Zanders Schlüsselbund in der Hand, den sie wie das Handy der Jackentasche des Toten entnommen hatte.
Anna öffnete die Wohnungstür und betrat einen muffigen, schummrig beleuchteten Flur. Links lag das Badezimmer, rechts ging es in die Küche. Anna zog die vergilbte Gardine zur Seite und riss das Fenster auf, um zu lüften.
Ihr Blick fiel auf den Tisch.
Zwei Klarsichtbeutel, prall gefüllt mit hellgrauem Pulver.
Sofort wusste sie, was das war: Zander hatte das Heroin im Keller der Boussoufas entdeckt und offenbar etwas abgezweigt – zu welchem Zweck auch immer.
Hastig packte Anna die beiden Beutel und verschwand damit im Bad, gerade rechtzeitig, bevor Thilo in die Wohnung kam. Ihr Herz klopfte heftig. Zur Sicherheit verriegelte sie die Tür.
»Wo steckst du?«, rief Thilo.
»Ich muss mal«, erwiderte Anna.
Sie schlug den Klodeckel zurück und grub die Fingernägel in die Plastikhülle des ersten Päckchens, doch sie war zu fest.
Im Spiegelschrank fand Anna eine Nagelschere. Sie schlitzte den Beutel auf und ließ den Inhalt ins Klo rieseln. Sie wiederholte die Prozedur mit dem zweiten Paket. Ein heller Haufen, der langsam im Wasser versank.
Fünfzehn Kilo hatte Rafi verkaufen wollen. Elf davon waren Zander offiziell in die Hände gefallen. Die Differenz betrug vier Kilo, also fehlten noch zwei – hoffentlich lagen sie nicht ebenfalls in dieser Wohnung herum.
»Willst du nicht lieber nach Hause gehen und ausspannen?« Thilos Stimme, dicht vor der Tür. »Das hier schaff ich wirklich auch allein.«
Anna drückte die Spülung. Das Zeug verschwand in Richtung Klärwerk. Sie fragte sich, was Paul dazu sagen würde. Der Mann war straight, korrekt, folgte immer einer klaren Linie. Trotzdem fühlte sie sich, als hätte sie eine gute Tat vollbracht.
Sorgfältig wusch Anna die leeren Beutel aus, trocknete sie mit einem Handtuch und stopfte sie in die Taschen ihrer Jeans. Ihr Pulsschlag beruhigte sich. Ein letzter, prüfender Blick – keine Krümel auf den Bodenfliesen.
Zander war ein guter Kerl, sagte sie sich. Und er sollte ein guter Kerl bleiben.
62.
Als Veller aus der Tür kam, entdeckte er Anna, die gerade ihr Auto abschloss, einen
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