Sprengkraft
sich den Deutschen an. Als könnte es ein Miteinander mit den Ungläubigen geben. Und er duldet, dass Halima gegen den Islam lebt.«
»Und dein Sohn, wie willst du ihn nennen?«
Said kratzte sich am Bart. »Dschihad. Allah, der Erhabene, will es so, also soll es auch geschehen.«
Rafi nickte. Er selbst hatte viele Jahre seines Lebens im Dunkeln verbracht. Auf dem Weg ans Licht war sein Freund viel weiter als er. Als Said noch bei den Eltern wohnte und nicht arbeiten musste, hatte er seine gesamte Zeit auf das Studium des Korans und der Hadithen verwandt und neun Mal am Tag gebetet, öfter noch als vorgeschrieben.
Rafi trank seine Tasse leer und stand auf. »Der Tee schmeckt ausgezeichnet. Allah hat dich mit einer Frau gesegnet, die dich gut umsorgt.«
»Ja, Allah sei gepriesen.«
»Also dann«, sagte Rafi und wandte sich zur Tür. »Möge Allah dir einen gesunden Sohn schenken. Dschihad ist ein guter Name.«
Saids Augen strahlten vor Stolz.
Rafis Mutter hatte Couscous mit Rosinen und Zwiebeln gekocht – ausnahmsweise keine Fischreste. Rafi küsste die Hand seines Vaters und setzte sich an den Tisch. Der Gedanke an Said und dessen vorbildliches Leben hatte ihn den ganzen Nachmittag nicht mehr losgelassen.
Nach einer Weile wandte sich Rafi an seine Mutter: »Wo hast du heute eingekauft?«
»Seit wann interessiert dich das?«
»Sag schon!«
Rafis Vater sah kurz hoch, dann schaufelte er weiter sein Essen in sich hinein. Mostafa Diouri war ein Mann, der nie viel redete. Klein, kompakt und sehr kräftig, trotz seiner immerhin schon sechsundfünfzig Jahre. Das Geschäft war ihm das Wichtigste. Ihm Widerworte zu geben, wie es Said mit seinem Vater tat, hätte Rafi nicht gewagt.
»Na, im gleichen Supermarkt, in den ich immer gehe«, antwortete seine Mutter. »Der Besitzer ist Berber. Aus dem Rif-Gebirge wie wir. Wieso fragst du?«
»Weil es nicht gut ist, wenn du an Orte gehst, wo fremde Männer sind. Das gehört sich nicht.«
»Bist du verrückt? Was soll ich tun? Etwa die Wohnung nicht mehr verlassen?«
»Zum Beispiel.«
»Und wer macht dann die Einkäufe? Du vielleicht? Der Besitzer des Ladens ist kein Fremder. Seit wir hier leben, gehe ich dorthin.«
»Es ist aber nicht recht. Du solltest das nicht mehr tun.«
Mostafa Diouri sah Rafi erneut an und kaute langsamer. Dann winkte er, als wollte er seinem Sohn etwas ins Ohr flüstern. Der Alte sieht es genauso, dachte Rafi und neigte ihm den Kopf zu.
Die Ohrfeige kam unvermutet und mit Wucht – für Sekunden glaubte Rafi, er könne auf der linken Seite nichts mehr hören.
»Wie redest du mit deiner Mutter?«, knurrte der Alte. »Was mischst du dich ein? Möge Allah deine Zunge zügeln!«
Er holte erneut aus, doch Rafi packte seinen Arm.
»Lass mich los!«, rief sein Vater, rot vor Zorn. »Wo bleibt dein Respekt?«
»Vertragt euch!«, heulte die Mutter auf.
Rafi drohte mit dem Zeigefinger. »Du schlägst mich nicht noch einmal. Nie wieder, verstehst du?«
Er schloss sich im Badezimmer ein und kontrollierte sein Gesicht im Spiegel. Die Wange brannte, aber eine Schramme war nicht zu entdecken.
Schläge war Rafi von jeher gewohnt. Klar, dass ein Vater seine Kinder züchtigen musste. Rafi dachte daran, als er ein kleiner Junge gewesen war und Strafe verdient hatte.
Der ältere Bruder war bereits volljährig und kellnerte in einem Café – zumindest gab Noureddine das als Broterwerb an. Er konnte sich alles leisten, was er wollte. Deshalb verstand Rafi die Sparappelle seines Vaters nicht. Er hatte sich einen Gameboy gewünscht, wie ihn seine Mitschüler besaßen. Vermutlich hätte er seinen Bruder um das Geld bitten können, aber Rafi nahm es sich aus dem Portemonnaie seiner Mutter und dachte sich nichts dabei.
Sie hatte den Diebstahl noch am selben Tag entdeckt. Sein Vater verfluchte Rafi und zerrte ihn in die Küche, wo das Öl in der Pfanne rauchte. Er packte den Stiel mit beiden Händen. Seine Stimme überschlug sich, sodass Rafi ihn kaum verstand:
» Mit welcher Hand hast du das Geld gestohlen ?«
Rafi schluchzte und schlotterte am ganzen Körper. Selbst die Mutter heulte. Der Vater brüllte noch lauter. Schließlich schloss Rafi die Augen und streckte instinktiv die Linke aus, die unreine Hand, die nicht so wichtig war.
» Über den Ausguss !«
Rafi kühlte die Wange mit Leitungswasser und betrachtete seinen Bart. Seit einem Monat rasierte er sich nicht mehr. Sein Vater fürchtete, dass deshalb
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