Sprengkraft
mal die Lage sondieren. Bin gleich wieder da.«
Der Kollege verschwand im Dunkeln.
Petra klang aufgekratzt. »Ich bin am Mittwoch in Köln und dachte, ich könnte vielleicht bei dir übernachten, wenn du nichts dagegen hast.«
»Du bist jederzeit willkommen, das weißt du doch.«
»Und wie geht’s dir? Hast du eine Stelle gefunden? Oder jobbst du noch für diesen Kumpel, wie heißt er noch, Brennecke?«
»Zurzeit hat mich ein Bauunternehmer angeheuert, für den ich schon einmal etwas über die Geschichte seines Unternehmens geschrieben habe.«
»Firmen-PR?«
»So ähnlich. Und du in München?«
»Ach, nicht so toll.«
»Ich dachte, die Stadt gefällt dir?«
»Schon, aber Mobbing und Grabenkämpfe hatte ich bereits in der Ratsfraktion in Köln. Dafür hätte ich nicht nach Bayern ziehen müssen.«
Moritz machte sich bewusst, dass Petra bei den Grünen den gleichen Job tat, den er für die Freiheitlichen machte. Lediglich mit anderen Inhalten.
Dann lenkte ihn das Fernsehbild ab. Rolfes nahm neben der Parteivorsitzenden Platz. Die weiße Mähne des Schriftstellers stand wirr ab, sein durchfurchtes Gesicht strahlte Kampfeslust aus. Carola schüttelte seine Hand.
»Hörst du mir zu?«, fragte Petra.
»Ja, was hast du in Köln vor?«
»Erzähl ich dir, wenn ich da bin.«
»Du machst es spannend.«
»Störe ich wirklich nicht, wenn ich eine Nacht bei dir penne? Wahrscheinlich hast du eine neue Freundin und sie wird genervt sein.«
Petras unverhohlene Neugier gefiel Moritz.
Anna funkte ein zweites Mal den Wachdienstleiter an und schärfte ihm ein, dass der Streifenwagen auf Blaulicht und Martinshorn verzichten sollte. Sie musste den Satz zweimal ins Gerät sprechen, bis der Kollege verstand. Dann hielt sie Ausschau nach dem grün-silbernen Passat, der jeden Moment eintreffen musste.
Die Zeit dehnte sich. Anna wurde ungeduldig und beschloss, Zander zu folgen.
In diesem Moment erschütterte ein Donnerschlag die Stille.
Der Nachhall war ein kurzes Klirren, als regne es Glas.
Etwas war explodiert.
Eine Bombe.
Moritz hatte das Gespräch beendet. Rasch die Fernbedienung, Ton an. Er konnte es noch immer nicht fassen.
Carola nahm kein Wort zurück. Rolfes versuchte, sie als Scharfmacher noch zu übertreffen. Beckmann kaute den Bügel seiner Brille, sichtlich zufrieden, dass die Republik morgen über seine Sendung reden würde.
»Aber was sagen Sie den Muslimen in unserem Land, Frau Ott-Petersen, Herr Rolfes? Ich hab mich da mal schlaugemacht. Die Schätzungen schwanken zwischen drei Komma zwo und drei Komma fünf Millionen. Was empfehlen Sie all diesen Leuten? Macht Schluss mit eurem Glauben? Nichts, nada, rien? Klappe zu, aus die Maus, Schicht im Schacht? Oder gibt es nicht doch einen Weg, den Islam mit unserer Gesellschaft zu versöhnen?«
Der Schriftsteller hustete.
Carola lächelte. »Ich sage allen Muslimen, die mit uns in Deutschland leben wollen: Wendet euch gegen die menschenverachtenden Seiten eurer Religion! Im Sinne der Freiheit, im Sinne der Integration: Reißt die schlimmen Stellen heraus aus eurem Koran!«
Moritz fragte sich, wie er das Porzellan kitten sollte, das seine Vorsitzende zerschlug. Er kam sich vor wie Sisyphos. Sein Versuch, den Freiheitlichen ein neues Image zu verpassen, war gründlich vergeigt. Er sah eine Flut wütender E-Mails auf die Partei zukommen. Beschimpfungen, Morddrohungen.
Den Rest der Sendung bekam Moritz nur wie durch einen Schleier mit. Seine Gedanken kreisten um den nächsten Tag. Um seinen Exkollegen Wilke, für den er nun endgültig unten durch sein musste. Um Petra, die ihn bald besuchen würde. Und um ihre gemeinsame Tochter – und was wäre, wenn die beiden erführen, dass er …
Ich sollte kündigen, dachte Moritz.
24.
Die Zeit schien anzuhalten. Es fiepte in Annas Ohren. Endlich konnte sie sich aus ihrer Erstarrung lösen und rannte los.
»Martin!«, schrie Anna, als sie den Hof erreichte und Zander sah.
Ihr Kollege kniete auf dem Asphalt. Sie packte ihn bei den Schultern. Er stöhnte, als er aufstand.
»Bist du verletzt?«
»Nur der Schreck.«
Anna blickte sich um. Im schwachen Mondlicht hob sich ein zweigeschossiges Gebäude ab, eine typische ehemalige Hinterhoffabrik. Drei Stufen einer Stahltreppe führten zu einer zweiflügligen Tür. Ein Schild: Marokkanisches Kulturzentrum.
Die Moschee.
Daneben ein einstöckiger Anbau mit Flachdach und dem Fenster, das Rafi am Handy erwähnt hatte.
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