Sprengkraft
Jonas Freyer traf ein und Anna war froh, ihn an ihrer Seite zu haben. Sie hatte mehrfach erlebt, wie er an Orten der Zerstörung professionelle Ruhe bewahrte. Sie stiegen über das Absperrband und betraten den Hof.
Kein Begrüßungskuss, keine freundschaftliche Berührung – es war auch nicht der Ort dafür, sagte sich Anna. Aus Neugier werde er etwas bleiben, erklärte Jonas. Mit den LKA-Leuten war er gut bekannt, sie würden nichts dagegen haben.
Anna hielt sich abseits, während Jonas durch die Fensteröffnung lugte. Sie hatte genug von den Leichen gesehen, der Anblick würde ihr in den nächsten Nächten mit Sicherheit Albträume bereiten.
»Als hätte der eine die Bombe gehalten«, spekulierte Jonas, »und der andere sein Ohr drangedrückt, vielleicht … weil etwas getickt hat?«
Anna zuckte mit den Schultern. Im Moment war eine Mutmaßung so gut wie die andere.
Mindestens so verheerend wie die Druckwelle hatten die Nägel gewirkt, die um den Sprengstoff gepackt gewesen waren. Die Explosion hatte sie verformt und in rasende Rotation versetzt – daher die großflächigen und tiefen Wunden und der enorme Blutverlust. Der Rechtsmediziner hatte angedeutet, dass die Obduktion den ganzen morgigen Tag beanspruchen würde. Es hatte wie eine Beschwerde geklungen. Als sei das Unglück eine Zumutung für sein Institut, eingebrockt von der Polizei.
Anna hoffte, dass wenigstens das dritte Opfer durchkommen würde.
Sie suchte Zander und fand ihn im Hauseingang, wo ihn der Rechtsmediziner untersuchte. Dem Padre war die Aufmerksamkeit, die der Weißkittel ihm schenkte, sichtlich peinlich. Anna vernahm, wie der Arzt ihm dringend nahelegte, sich im nächsten Krankenhaus versorgen zu lassen.
Anna fragte den Kollegen: »Soll ich mitkommen?«
Zander zeigte ein Lächeln. »Danke, aber ich werde schon eine Krankenschwester zum Händchenhalten finden.« Er senkte die Stimme. »Übrigens, wenn unsere Chefin auf getrennten Berichten besteht, dann sollten wir uns nicht widersprechen. Wir schreiben beide, dass du dagegen warst, eigenmächtig nach Diouri zu suchen, und mich nur begleitet hast, um mir im Notfall beistehen zu können.«
»Kommt nicht infrage.«
»Doch. Du willst in unserem Verein doch noch etwas werden. Ich stehe ohnehin auf der Abschussliste.«
Ein weiteres Polizeifahrzeug fuhr vor, Ela Bach und Polizeirat Thann stiegen aus.
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Zander.
Anna ging den beiden Chefs entgegen. Der Inspektionsleiter war kaum älter als vierzig, aber vorzeitig ergraut. Sein Händedruck war fest, die Gesichtszüge verrieten Anspannung. Anna schilderte den Ablauf des Abends. Schlechten Gewissens folgte sie dabei der Version, die ihr Partner vorgegeben hatte.
Thann enthielt sich eines Kommentars, aber Ela wurde zusehends ungehaltener. Sie entdeckte Zander, der gerade in den Omega steigen wollte.
Anna versuchte, die KK-11-Leiterin zu beschwichtigen. »Du hättest sehen sollen, wie er sich um den Schwerverletzten gekümmert hat. Wenn der junge Kerl durchkommt, dann hat er es allein Martin zu verdanken.«
Doch Ela schritt auf Zander los und herrschte ihn an: »Was ist in deinem kahlen Schädel los, dass du entgegen aller Leitlinien …«
»Scheiß drauf!«, unterbrach Zander. »Habe ich hier die Bombe gelegt, oder was?«
Presseleute blickten herüber, die Kollegen am Absperrband schwiegen betreten. Polizeirat Thann verschränkte die Arme und mischte sich nicht ein. Ela beruhigte sich nicht – vielleicht wollte sie Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren.
»Du hältst du dich wohl für kompetenter als die Einsatzleitung! Weißt du, wie dieser Abend auf mich wirkt? Wieder einmal ist ein Festnahmeversuch gegen marokkanische Drogenhändler unter deiner Mitwirkung in die Hose gegangen. Dein Verhalten stinkt zum Himmel und wird Konsequenzen haben!«
»Danke für das Fachgespräch.« Zander startete den Motor und wollte die Tür schließen, doch Ela hielt sie fest.
»Willst du mich etwa daran hindern, meine Wunden behandeln zu lassen?«
Die KK-11-Leiterin drehte sich weg.
Zander knallte die Tür zu und begann zu rangieren. Als sein Blick auf Anna fiel, zeigte er den erhobenen Daumen, doch sie erkannte, wie fertig der Kollege war.
Ohne die Spezialisten vom LKA wollte Anna nicht mit der Tatortarbeit beginnen. Ein Blick auf die Uhr: Der neue Tag war bereits über eine Stunde alt.
Drei aufgeregte Männer bestürmten Anna mit einem Redeschwall in gebrochenem Deutsch.
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