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Sprengkraft

Sprengkraft

Titel: Sprengkraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Die Öffnung war schwarz und leer. Zargen und jede Menge Scherben lagen vor der Mauer.

    »Gerade war da noch Licht«, murmelte der Kollege.

    Draußen auf der Straße sprang der Motor eines Wagens an und das Geräusch entfernte sich. Nicht die Verstärkung, folgerte Anna.

    Ruhig bleiben, ermahnte sie sich und überlegte die nächsten Schritte. Hof, Moschee und Anbau – ein Tatort. Absperren und einen Pfad festlegen, um das Gebäude zu betreten, ohne Spuren zu zerstören. Verletzte Personen bergen. Anna zog die Taschenlampe aus dem kleinen Holster, das sie am Gürtel trug, und knipste sie an.

    Als sie auf das Fenster zuging, knirschte es unter ihren Sohlen – verbogene Nägel, Metallsplitter und Glasscherben auf dem Pflaster.

    Der Schein ihrer Lampe fiel auf den Kollegen und Anna stellte fest, dass er doch etwas abbekommen hatte: Aus einer breiten Schramme an der Wange sickerte Blut. Zander berührte die Wunde, als habe er sie erst jetzt bemerkt.

    Wieder brummte ein Motor. Diesmal war es der richtige. Reifen quietschten, Türen schlugen. Mit einem Mal schwollen weitere Geräusche an. Schritte und Stimmen, Rufe aus dem Vorderhaus. In der Ferne ein Martinshorn. Weitere Sirenen aus verschiedenen Richtungen – als erwache die Stadt aus einer Schrecksekunde.

    Zwei Uniformierte hasteten herbei. Einer fragte atemlos: »Was war das für ein Krach?«

    Statt einer Antwort bückte sich Zander und hob etwas Helles auf.

    Anna leuchtete darauf. Es war ein Stück Knochen mit Fleischresten, in dem menschliche Zähne steckten – die Hälfte eines Unterkiefers.

    »Das Ding hat mich getroffen«, staunte Zander.

    Anna lief zum Anbau, leuchtete durch das zerstörte Fenster hinein und ließ den Lichtstrahl wandern.

    Der Anblick schnürte ihr den Atem ab.

     
    Zander riss sich zusammen. Nur eine Schramme, sagte er sich, trat neben die Kollegin und leuchtete ebenfalls durch das Loch.

    Staub tanzte im Lichtstrahl. Überall Trümmer und Blut. Ein Paar nackter Beine in der Zimmermitte. Den Rest des Körpers bedeckten Teile eines Schranks oder Regals. Zander erkannte einen Arm, dem die Hand fehlte, und eine zweite Person, deren Hals als Stumpf in einem Durcheinander aus Gewebefetzen und Knochensplittern endete. Auch Wände und Decke waren blutbesudelt. Risse im Putz, große Löcher in einer Verbindungswand, die offenbar nur aus Gipsplatten bestanden hatte. Davor ein weiterer Körper, der bekleidet war – reglos.

    »Scheiße«, entfuhr es Zander.

    Als auch Anna ihre Lampe auf den dritten Kerl richtete, hatte Zander den Eindruck, als fließe in rhythmischem Schwall Blut aus einem Hosenbein.

    »Der lebt noch!«, rief Zander.

    »Du kannst da nicht reingehen«, warnte seine Partnerin.

    Doch Zander hastete bereits die Stufen zur Eingangstür hinauf. Unverschlossen – er riss sie auf und stand in einer Wolke von Dreck. »Es kann noch weitere Bomben geben!«, hörte er Anna rufen. »Sprengfallen!«

    Hustend suchte er den Weg in den Anbau. Das Licht seiner Funzel durchdrang kaum den Staub. Zander tastete sich voran und kletterte über eine Tür, die samt Zarge quer im Flur lag. Ein Fehltritt – er geriet ins Straucheln und stützte sich an einer Wand ab, die unter seinem Gewicht wankte. Das Gebäude konnte jeden Moment zusammenstürzen.

    Endlich erreichte er die Gestalt am Boden und ging in die Hocke. Die Blutung oberhalb des Knies hatte nachgelassen. Zander betastete das Handgelenk. Ein schwacher Puls – oder war es nur die Hoffnung, etwas zu fühlen?

    Das Sweatshirt des Jungen war zerfetzt, das Gesicht von Wunden entstellt. Zander konnte nicht erkennen, ob es Rafi war oder einer seiner Besucher. Er musste erneut husten, dann würgen, schluckte das saure Zeug aus seinem Magen wieder hinunter und sagte sich, dass der Verletzte auf keinen Fall sterben durfte, vor allem, wenn es Rafi war.

    Den Oberschenkel schien es am schwersten erwischt zu haben. Zander nahm seine Taschenlampe in den Mund, um die Hände frei zu haben, und zerrte den Gürtel aus der Jeans des Jungen, um das Bein abzubinden.

    Ein leises Stöhnen.

    Fieberhaft verknotete Zander den Lederriemen. Er fand ein Stück Holz, das einmal Teil eines Stuhlbeins gewesen sein mochte, steckte es unter den Knoten und drehte den Gürtel noch enger.

    »Wir holen dich hier raus, Junge«, sagte Zander.

    Wieder musste er husten und zugleich mit dem Brechreiz kämpfen. Ihm fiel ein, dass er das Holz nicht länger festhalten musste, wenn er es mit seinem Taschentuch am Gürtel

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