Sprengkraft
innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erklärt – womit ihre Behörde für die Strafverfolgung zuständig war. Als mutmaßliche Täter galten drei junge Männer im Alter zwischen neunzehn und fünfundzwanzig Jahren, zwei Marokkaner der zweiten Zuwanderergeneration und ein zum Islam konvertierter Rheinländer. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf mögliche Mittäter und die Herkunft des Sprengstoffs. Ein islamistischer Hintergrund wurde vermutet – es war, wie Still gesagt hatte.
Sofort hatte Moritz den gemeinsam verfassten Text per Mail und Fax an sämtliche Adressen seines Verteilers versandt.
Stills Bemerkung, halb im Scherz: Sie sind mir noch viel zu liberal – dabei hatte Moritz aus freien Stücken jedem Punkt zugestimmt, den der Verfassungsschützer auf dem Zettel hatte.
Nicht nur die Republik war nicht mehr dieselbe. Moritz war sich bewusst, dass auch er sich geändert hatte. Unter dem Druck der Tatsachen. Bucerius hatte recht: Das Land befand sich im Krieg, selbst ernannte Dschihadisten riefen zum Sturm gegen Demokratie und Freiheit. Die Explosion der vergangenen Nacht war womöglich nur ein Anfang.
Tagesschau.de zählte sämtliche Forderungen der Freiheitlichen-Erklärung auf, ohne sie als überzogen oder rechtsradikal zu denunzieren. Das wäre noch gestern undenkbar gewesen.
Die Internetausgabe des Focus zitierte wörtlich Moritz’ Einleitungssätze. Er hatte sie als O-Ton der Parteivorsitzenden Carola Ott-Petersen ausgegeben und fand sie selbst besonders gelungen: Deutschland wurde gestern kurz vor Mitternacht aus dem schönen Traum der friedlich-multikulturellen Koexistenz geweckt. Es liegt an unserer entschlossenen Gegenwehr, dass sich die Katastrophen von Madrid und London nicht auch in deutschen Städten wiederholen.
Spiegel Online kommentierte, dass es jetzt absurder denn je sei, die Ablehnung menschenverachtender Ideologien und Praktiken als ›rassistisch‹ oder ›fremdenfeindlich‹ zu brandmarken. Der Staat habe Wichtigeres zu tun, als den Verfassungsschutz auf Islamkritiker wie die Freiheitlichen anzusetzen.
Fast buchstäblich mein Text, erkannte Moritz mit Genugtuung.
Heike schaute herein. »Im Hotel heißt es, Frau Ott hätte heute früh ausgecheckt. Eigentlich müsste sie längst gelandet sein. Ich verstehe das nicht.«
»Versuchen Sie es doch mal bei ihr zu Hause«, antwortete Moritz.
»Okay.« Die Sekretärin verschwand wieder in ihr Büro.
Überall wurde erwähnt, dass die Partei für den kommenden Samstag zu einer Demonstration gegen Islamismus und Gewalt aufrief, zeitgleich in mehreren Städten der Republik. Zeichen setzen für die Freiheit! – diese Aktion war Moritz’ Idee gewesen.
Er dachte an Petra. Unter dem Eindruck der Geschehnisse könnte sicher auch sie den Demo-Aufruf unterschreiben. Rechts und links waren als Begriffe der politischen Unterscheidung obsolet geworden. Ab heute sollte es nur noch den gemeinsamen Abwehrkampf gegen die islamistische Bedrohung geben.
Moritz las Meldungen, wonach in der CDU Streit über den Umgang mit den Freiheitlichen ausgebrochen war. Eine Reihe von Fraktionsmitgliedern im NRW-Landtag kritisierte die starre Haltung von Ministerpräsident Fahrenhorst und plädierte für eine Kooperation im Fall eines Verlustes der schwarz-gelben Mehrheit.
Als Moritz seine E-Mail-Eingänge abfragen wollte, entdeckte er den Entwurf seiner Kündigung. Ihm war, als seien Wochen vergangen, seit er diesen Schritt in Erwägung gezogen hatte. Er löschte das Dokument und staunte über sich selbst.
Dann füllte er bei Heike seinen Kaffeebecher auf und kehrte gerade rechtzeitig zurück, um den ersten Anruf entgegenzunehmen.
Das ZDF wollte die Vorsitzende der Freiheitlichen als Studiogast für die Maybrit-Illner-Talkshow am kommenden Donnerstag einladen. Der Inhalt der Sendung wurde gerade aus aktuellem Anlass umgestellt – die Terrorgefahr hatte die Entlassungswelle der deutschen Industrie in den Hintergrund gedrängt. Natürlich sagte Moritz zu.
Die Redaktion des ARD-Brennpunkts wünschte Konrad Rolfes als Islamkritiker. Für den heutigen Abend war eine Sondersendung angesetzt worden. Moritz versprach seine Unterstützung.
Das Telefon stand nicht mehr still. Nebenher brachte Moritz die Homepage der Freiheitlichen weiter auf Vordermann. Gräfe, der ihm von den Bewerbungsgesprächen für das Wahlkampfteam berichten wollte, musste Moritz abwimmeln.
Er ahnte, dass diese Woche die vielleicht stressreichste seines
Weitere Kostenlose Bücher