Sprengkraft
aber Veller erschien es rätselhaft, wie die Kerle so rasch an Sprengstoff gekommen waren, wenn einer von ihnen erst noch Geld besorgen musste.
»Wann kam Diouri mit seinen Verkaufsabsichten zu eurem Gewährsmann?«, fragte Veller.
»Freitagnachmittag. Der Informant hat sich sofort danach bei uns gemeldet.«
Drei Tage, überlegte Veller – ein ungewöhnlich knappes Zeitfenster für eine Reihe brisanter Aktionen: Verkauf von Rauschgift, Erwerb der Chemikalien, Herstellung der Bombe. Da stimmte etwas nicht.
Veller diktierte eine weitere Kurzwahlnummer in die Freisprechanlage, hatte die Berliner Zweigstelle des Bundeskriminalamts in der Leitung und ließ sich mit einem Kollegen verbinden, der dort im sogenannten Gemeinsamen Internet-Zentrum von BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete. Sie kannten sich von zahlreichen Konferenzen.
Der Mann klang, als hätte er mit dem Anruf gerechnet.
Veller bat ihn um eine umfassende Internetrecherche. Militante Islamisten unternahmen selten einen Angriff, ohne vorab damit zu prahlen. Fanatiker übten sich im Wettstreit, wer von ihnen der gläubigste und radikalste sei – sie mussten es nicht nur sich, sondern auch der muslimischen Welt beweisen. Deshalb hielt Veller es für denkbar, dass Diouri oder einer seiner Mittäter in einem der zahlreichen Dschihadisten-Foren Andeutungen über ihre Pläne verbreitet hatte. Veller nannte dem Berliner Kollegen die Namen der Toten sowie das mutmaßliche Anschlagsziel.
»Fünftausend Webseiten«, brummte der BKA-Mann. »Vorsichtig geschätzt.«
»Bis morgen früh schafft ihr das«, erwiderte Veller.
Ein Bekenntnis der Täter würde den Verdacht des islamistischen Motivs bestätigen. Und vielleicht enthielt es Andeutungen auf die Vorgehensweise, auf Komplizen oder weitere Ziele. Veller hatte das ungewisse Gefühl, dass hinter den drei Jungs jemand steckte. Zumindest musste er die Existenz von Mittätern in Betracht ziehen.
»Was denkst du?«, fragte Anna, als Veller sein Gespräch beendet hatte.
»Dass du Feierabend machen solltest, sobald wir die Wohnungsdurchsuchung hinter uns haben. Du bist seit gestern früh auf den Beinen.«
»Ich hab heute Vormittag ’ne Pause gemacht.«
»Höchstens eine Stunde.«
»Woher weißt du das so genau? Schnüffelst du auch deinen Kollegen hinterher?«
»Nur, wenn sie weiblich sind und attraktiv«, antwortete er und grinste.
»Ach. Und was erfährt man da so?«
»Dass du gut bist und engagiert. Dass deine Chefin dich schätzt. Und dass sämtliche Kollegen im Präsidium gern wüssten, ob du schon vergeben bist.«
Ein Seitenblick – seine Beifahrerin zeigte keine Regung.
Veller wurde ernst. »Hör zu, Anna, vielleicht gibt dir ein brisanter Fall wie dieser einen besonderen Kick. Vielleicht läuft in deiner Dienststelle nicht alles rund, wie du es gern hättest, und du willst dich mal bei uns umsehen. Vielleicht willst du dich auch mit der Arbeit von etwas anderem ablenken, wer weiß.«
»Hobbypsychologe, was?«
»Möglicherweise stehen wir vor einer noch nie gekannten Stufe islamistischer Bedrohung, aber gerade dann ist eine Stunde Schlaf entschieden zu wenig, und zu viel Ehrgeiz tut niemandem gut.«
»Danke für das Fachgespräch«, erwiderte Anna.
Sie passierten den Volksgarten, unterquerten die S-Bahn und erreichten den Stadtteil Oberbilk. In der nächsten Querstraße stand das Haus, in dem Said Boussoufa seine Wohnung gemietet hatte. Veller setzte den Blinker und bog ab.
Zwei verschleierte Mädchen rannten über die Straße und Veller musste abrupt bremsen. Anna stützte die Hände am Armaturenbrett ab. Einen Ring trug sie nicht.
Vor der Haustür begrüßten sie die beiden Kollegen der Bereitschaftspolizei, die Veller zur Verstärkung angefordert hatte.
Er drückte die Klingel zum fünften Mal und überlegte, den Schlüsseldienst zu rufen, als die Tür endlich aufging. Eine komplett in Schwarz gehüllte Gestalt ließ sich blicken. Ihr Bauch wölbte sich – ob die Frau dick oder schwanger war, vermochte Veller nicht zu beurteilen.
Er und seine Kollegin zeigten ihre Dienstmarken. »Frau Boussoufa?«, fragte er.
»Schon wieder Polizei? Was wollen Sie?« Die Stimme der Marokkanerin klang schrill, als sei sie den Tränen nahe. Selbst das Gesicht der Frau war bedeckt. Sie zupfte am Tuch, um durch den Sehschlitz spähen zu können.
»Wir werden jetzt Ihre Wohnung durchsuchen. Hier ist die richterliche Anordnung.« Veller hielt das Papier hoch.
Die
Weitere Kostenlose Bücher