Sprengkraft
heute Nacht war schrecklich, keine Frage, aber für die Freiheitlichen eine historische Chance und wir müssen jetzt sofort … Hören Sie mir zu, Herr Lemke?«
»Ja, aber …«
»Die Welt schaut jetzt auf Sie, Herr Lemke. Machen Sie etwas daraus!«
Bucerius hatte aufgelegt.
»Wer war das?«, fragte Still.
Moritz brauchte einen Moment, um sich zu fangen. »Die Bombe – welche Erkenntnisse hat eigentlich der Verfassungsschutz?«
»Wir stehen in Kontakt mit der Polizei, aber über Details darf ich nicht reden.«
»Kein rechter Anschlag?«
»Nein, wie es aussieht, haben sich die Opfer selbst in die Luft gejagt. Ihr Sprengsatz ist vorzeitig explodiert, aber sie hatten offenbar eine Art Nine/Eleven für Deutschland geplant mit Hunderten oder Tausenden von Toten. Das ist ein völlig neues Niveau der Bedrohung! Vor zwei Jahren die Kofferbomben in den Regionalzügen, die zum Glück nicht hochgingen. Letztes Jahr die Bande, die im Sauerland Autobomben aus Bleichmitteln basteln wollte. Und jetzt detoniert erstmals ein Sprengsatz. Alle haben es befürchtet, aber niemand hat sich wirklich darauf eingestellt!«
»Wir müssen darauf reagieren, sobald die Polizei damit an die Öffentlichkeit geht.«
»Auf das Timing kommt es an, nicht wahr?« Der Geheimdienstmann lächelte und zog einen Zettel aus der Innentasche seines Sakkos. »Ich hab schon mal was vorbereitet. Sie sind zwar ein heller Kopf, Lemke, aber Sie sind mir noch viel zu liberal.«
Teil III Staatsgeheimnisse
30.
Sein Blick schweifte aus dem Fenster des Sitzungssaals ins Grüne. Baumschulen und Felder, so weit das Auge reichte. Darüber tief hängende Regenwolken – für den Nachmittag waren Schauer vorhergesagt.
Paul Veller langweilte sich. Um neun Uhr hatte die Dienstbesprechung beim Bundeskriminalamt in Meckenheim-Merl begonnen. Sie sollte dem Austausch neuer Erkenntnisse dienen, doch nach einer Stunde drehte sich die Diskussion nur noch im Kreis.
Zwei Dutzend Sachbearbeiter von BKA und einigen Landeskriminalämtern aus dem Westen und Süden Deutschlands drängten sich um den Tisch. Ein hessischer Kollege referierte mit Laptop und Beamer. In seinem Bundesland stand ein bislang unbekannter Unterstützer der Ansar al-Islam unter Beobachtung, vermutlich ein Geldeintreiber. Im Irak verheizte die Terrororganisation Selbstmordattentäter am laufenden Band und musste die Familien mit Barem locken, damit der Zustrom neuer Möchtegern-Märtyrer nicht abriss – auf fünftausend Euro belief sich der derzeitige Kurs.
Der Eintreiber, den die Hessen im Auge hatten, tourte durch die arabischen Gemeinden von Frankfurt, Offenbach und Darmstadt. Wer nicht freiwillig spendete, wurde bedroht oder angegriffen, sein Geschäft demoliert, so hieß es.
Veller, der seit zehn Jahren beim Düsseldorfer Landeskriminalamt arbeitete und dort eine von vier Ermittlungskommissionen für islamistisch motivierte Straftaten leitete, hatte seine Erkenntnisse aus einschlägigen Verfahren in Nordrhein-Westfalen beigesteuert – in einigen Städten an Rhein und Ruhr war die Schutzgelderpressung arabischer Händler und Gastronomen ebenfalls gängige Praxis.
Die Runde beriet Kriterien zur Erstellung eines neuen Merkblatts, das solche Fälle besser erfassen sollte.
Veller ließ das Grün vor dem Fenster auf sich wirken. Er freute sich auf den Feierabend und den Hobbykick mit seinen Kumpels auf den Düsseldorfer Rheinwiesen. Egal, ob es regnen würde. Sie spielten bei jedem Wetter.
Die letzten Male hatten ihn Tagungen wie diese am Sport gehindert und Veller begann, um sein Idealgewicht zu fürchten. Seit seiner Scheidung im vergangenen Sommer hatte er das Gefühl, sich um seine Figur kümmern zu müssen. Er hätte gern wieder ausgesehen wie vor zehn Jahren, als seine Welt noch in Ordnung gewesen war – eine zerbrochene Ehe war damals ebenso wenig ein Thema gewesen wie Geldeintreiber von Ansar al-Islam.
Sein Mobiltelefon vibrierte. Veller kontrollierte das Display: Neue Nachricht von VV.
Veller drückte auf Lesen. Die Mitteilung bestand nur aus drei Zeichen.
Te1 – sein Vater, mit dem er Fernschach spielte, ihre tägliche Art der Kommunikation.
Also geht es ihm gut, dachte Veller.
Noch in seiner Hand vibrierte das Ding schon wieder. Diesmal war es keine SMS, sondern ein Anruf. Auf dem Display seine eigene Büronummer – Weiterleitung.
»Paul Veller«, meldete er sich leise, um die Merkblattberatung nicht zu stören.
Polizeidirektor Meerhoff war dran, Leiter
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