Sprengkraft
Mädchen und ein Junge, schätzungsweise sechs und fünf Jahre alt. Als sie etwas gefragt wurden, streckte der Junge eine Maschinenpistole aus Plastik in die Luft und beide Kids skandierten Parolen – zur sichtlichen Zufriedenheit des Moderators.
Man musste nicht Arabisch verstehen, um zu ahnen, worum es in dieser Sendung ging.
»Gespenstisch«, murmelte Anna, als sie wieder in das Auto stiegen.
»Du wirst sie morgen in die Mangel nehmen«, erwiderte er.
Anna warf ihm einen skeptischen Blick zu.
Veller sagte: »Miriam wusste, was die drei vorhatten. Sie sprach vom Paradies. Für sie ist ihr Mann ein Märtyrer. Also ist Said nicht ganz unschuldig da hineingeraten.«
»Aber selbst wenn sie seine Motive nicht teilt, würde sie dichthalten. Familienehre, Misstrauen gegenüber Außenstehenden. Das ist eine andere Welt. Positiv gesagt: Da hält man noch zusammen.«
»Ich staune, Anna.«
»Wieso?«
»Ich dachte, du kennst dich in dieser Szene nicht aus.«
»Unsereins wird sich da auch niemals auskennen, fürchte ich.«
Veller steuerte den Alfa durch das arabische Viertel. Gemüseläden, ein Reisebüro, Cafés. Er bemühte sich, nicht in jedem Bartträger einen potenziellen Attentäter zu vermuten, unter jedem Kopftuch Fanatismus und militanten Hass.
Sein Handy ertönte.
Es war Dombrowski, der Aktenführer. »Paul, wir haben die ersten Verbindungsdaten. Es geht um zwei Mobiltelefone und zwei Festnetzanschlüsse. Das dritte Handy hat es ziemlich zerlegt, da sitzen die Techniker noch dran, sind aber optimistisch. Rate mal, wie viele Kontaktpersonen bis jetzt zusammenkommen?«
»Jag sie durch den Computer, schick sie an Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und BKA. Du kennst das doch. Und frag bei sämtlichen Polizeibehörden an, ob sie Erkenntnisse haben.«
»Wir brauchen mehr Leute.«
»Ich rede mit dem Abteilungsleiter. Aber richte dich darauf ein, dass wir das Verstärkungskontingent schon ausgeschöpft haben.« Veller zwinkerte Anna zu.
»Noch was, Paul.«
»Ja?«
»Bisping meint, die Theorie, dass der Sprengsatz bei der Herstellung detonierte, könnten wir uns abschminken.«
»Wieso?«
»Dazu braucht man Geräte, du musst das Zeug filtern und trocknen. Aber am Tatort hat er keinerlei Spuren von Behältnissen oder Filtermaterialien gefunden, sagt Bisping.«
»Danke.« Veller beendete das Gespräch und konzentrierte sich auf die Straße.
Seine Beifahrerin sagte: »Also suchen wir jetzt auch den Ort, an dem die Bombe gebastelt wurde.«
»Du schläfst dich erst einmal aus.«
»Ich weiß übrigens jemanden, der gern mitmachen würde.«
»Noch einer, der lieber Überstunden schiebt, als zu Hause die Bude zu heizen?«
»Martin Zander, ein Kollege vom KK 11. Sein Spitzname lautet Padre. Er kennt die Szene recht gut. Zander hat mal den hiesigen Rauschgift-Einsatztrupp geleitet. Wie lange es her ist, dass Rafis Bruder erschossen wurde, kann er dir auf den Tag genau herbeten.«
»Padre? Ist der Typ etwa fromm?«
Anna lachte auf.
Veller riskierte einen längeren Seitenblick. Er hatte sie erheitert. Es ging also doch.
Als Paul Veller das Büro des LKA-Direktors betrat, konferierte der Behördenleiter bereits mit Abteilungsleiter Meerhoff sowie einem überraschend jungen Kerl mit Gelfrisur und Grübchen im Kinn, der als Einziger Krawatte trug – vermutlich der aus Karlsruhe angereiste Vertreter der Bundesanwaltschaft. Er wirkte, als sei er gerade mal dreißig. Der Typ musste ein gnadenlos gutes Juraexamen gebaut oder noch bessere Beziehungen haben, wenn man ihn auf diesen Fall ansetzte, schoss es Veller durch den Kopf.
»Da sind Sie ja«, begrüßte ihn der Direktor und wies auf den Krawattenträger. »Herr Ludwig aus Karlsruhe.«
Händeschütteln, ein Stuhl am Besprechungstisch war noch frei. Veller zog seinen Bericht für das Ministerium aus der Tasche und reichte ihn dem Direktor, der sofort die ersten und die letzten Seiten überflog.
»Noch sehr dünn«, kommentierte der Behördenleiter. Veller fand, dass sein Chef urlaubsreif wirkte, fahl und mager.
»So ist auch unser Erkenntnisstand«, antwortete Veller.
Der junge Bundesanwalt fragte: »Hat sich Ihr Eindruck verfestigt?«
Veller bejahte. »Außer dem Material am Tatort fanden wir auf den Computern beider Marokkaner einschlägige Verbindungsdaten ins Internet. Die Typen surften in letzter Zeit täglich durch die Webseiten-Hitparade des militanten Islamismus. Sie hatten sich alle möglichen
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