Sprengkraft
Filmchen von Bin-Laden-Ansprachen heruntergeladen. Von ihren Familien hatten sich beide losgesagt, der eine vor drei Wochen, der andere vor wenigen Tagen. Auch das passt ins Muster. Der Konvertit hatte ebenfalls nur noch sporadischen Kontakt zu seiner Familie. Die Mutter ist eine völlig verzweifelte Frau, die selbst zum Islam übergetreten ist, nur damit die Verbindung zum Sohn nicht völlig abriss. Dessen Entwicklung können wir einigermaßen nachvollziehen. Im Fall der Marokkaner stoßen wir bislang auf die übliche Mauer des Schweigens.«
»Also kein Anschlag von Neonazis?«
»Dafür gibt es nur eine sehr vage Spur, und die führt bis jetzt nicht weiter.«
»Und organisierte Kriminalität? Eines der Opfer hat eine einschlägige Vergangenheit und ein paar Tage zuvor Heroin zum Kauf angeboten.«
»Das ist auch der einzige Hinweis in diese Richtung. Wir gehen der Sache nach, aber …«
»Halten wir fest: Die drei waren Islamisten.«
»Sieht ganz danach aus.«
»Also dringender Tatverdacht, gemeinschaftliche unerlaubte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Opfer sind demnach zugleich die Täter, offenbar ein Fehler beim Bau der Bombe, sehe ich das richtig?«
»Nein, hergestellt wurde der Sprengsatz woanders, wir wissen noch nicht wo.«
»Dann eben ein Fehler bei der Lagerung.«
»Möglich. Leider kennen wir bislang weder die Art des Sprengstoffs noch die des Zündmechanismus.«
»Hintermänner, Handlanger, Komplizen?«
»Kann sein, aber auch dazu ist es im Moment zu früh.«
»Wann wird der Verletzte vernehmungsfähig sein?«
»Frühestens morgen, eher übermorgen.«
»Was war das Anschlagsziel?«
»Ein Kinocenter. Es gibt einen Plan, in dem drei Säle angekreuzt sind.«
»Drei Säle? Heißt das, es gibt noch weitere Bomben?«
Bedrücktes Schweigen.
Veller wandte sich an den Direktor. »Zwei, drei Leute mehr wären nicht schlecht.«
Bevor der Behördenleiter antworten konnte, piepste sein Handy und er ging ran. Nach wenigen Sekunden sprang er auf und postierte sich mit dem Rücken zu seinen Besuchern am Fenster.
»Ja, Schatz«, war seine leise Stimme zu vernehmen. »Guten Flug! Umarm die Kleinen von mir. Wann ich nachkommen kann, weiß ich noch nicht.« Er steckte das Handy ein und kehrte zurück. »Sorry, meine Herren. Was wollen wir der Presse über die Täter verraten?«
»Kein Wort vom Kinocenter an die Medien!«, antwortete Meerhoff. »Die drei Kreuze auf der Skizze bleiben unter uns.«
»Das sehe ich auch so«, stimmte der Bundesanwalt zu. »Ansonsten aber sorgt eine weitgehende Aufklärung der Öffentlichkeit dafür, dass keine unangemessenen Spekulationen hochkochen. Je mehr Fakten wir nennen, desto günstiger ist das Bild, das wir als Sicherheitsbehörden abgeben.«
»Aber denken Sie an die Eltern der Täter, an die Mutter des Konvertiten. Wollen Sie, dass ab heute Abend die Fernsehkameras vor den Häusern dieser armen Leute postiert sind?«
»Immer noch besser, als wenn sich die Medien auf uns einschießen, weil wir mauern und den Eindruck von Untätigkeit oder Bollwerkmentalität erwecken. Das ist übrigens auch der Standpunkt der Bundeskanzlerin, die in engem Austausch mit meiner Chefin steht.«
Damit hatte der junge Bundesanwalt die kurze Diskussion für sich entschieden.
Der LKA-Direktor wandte sich an Veller, die blasse Stirn in Falten gelegt. »Wir müssen den Medien stets einen Schritt voraus sein. Wenn der Minister etwas aus der Presse oder dem Radio erfährt, was er nicht von uns hat, gibt’s ein Problem.«
Veller nickte, er wusste Bescheid. Es ging um Posten und Prestige. Beim geringsten Ermittlungsfehler würden Köpfe rollen. Aber bevor ein Minister zurücktrat, würde er nach Sündenböcken suchen – zuerst im Landeskriminalamt.
Der Behördenleiter stand auf und nahm eine Krawatte vom Garderobenhaken. »Sie werden übrigens morgen früh in Berlin erwartet, Herr Veller. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum möchte man Sie live erleben. Bundesminister Schäuble wird an der Sitzung teilnehmen. Machen Sie uns keine Schande.«
Es klopfte an der Tür, der Pressesprecher trat ein, behielt aber die Klinke in der Hand. »So voll habe ich den Saal noch nicht erlebt. Jede Menge ausländische Korrespondenten. Sogar die Volksrepublik China hat ein Kamerateam geschickt.«
Der Direktor des Landeskriminalamts band sich die Krawatte um. »Dann wollen wir mal.«
33.
Die
Weitere Kostenlose Bücher