Sprengkraft
vergittert. Schwarze Limousinen hatten die hell erleuchtete Auffahrt zugeparkt. Ausladende Magnoliensträucher blühten im Vorgarten. Ein paar Meter weiter fand Moritz eine größere Lücke am Straßenrand, in der auch Gräfe sein Auto abstellen konnte. Sie stiefelten über den knirschenden Kies zum Eingang. Die Aussicht, eine Rede halten zu müssen, machte Moritz nervös.
»Die van Straelens haben seit Generationen Nadeln hergestellt«, erklärte Gräfe, »bis Max van Straelen in den Achtzigern die Fabrik verkauft und den Erlös geschickt in Aktien investiert hat, was seinen Reichtum glatt verdoppelt hat. Diesen Mann juckt die jetzige Krise nicht im Geringsten. Er hat ein paar Leute des gleichen Kalibers eingeladen. Wenn wir sie überzeugen können, dass den Freiheitlichen die Zukunft gehört, müssen wir uns um die Finanzierung des Wahlkampfs keine Sorgen mehr machen. Dann kann Norbert Still jede Woche einen Kongress veranstalten.«
»Aber nicht mit dem Rassisten Le Pen«, antwortete Moritz.
»Sehe ich auch so«, sagte Gräfe und hob den Türklopfer an.
Im Inneren schellte es. Moritz wandte sich für einen Moment um. Tagsüber musste die Hanglage der Villa einen atemberaubenden Blick auf den Baldeneysee bescheren.
Eine schlanke Dame mit faltigem Hals und rosig geschminkten Wangen öffnete. Ganz in Schwarz gekleidet, eine Art Kaftan über einer Hose mit weit geschnittenen Beinen. Sie stellte sich als Gundula van Straelen vor und tat entzückt, als seien die Neuankömmlinge alte Freunde des Hauses. In der Eingangsdiele war das Licht gedimmt, den Weg ins Wohnzimmer säumten zahllose Windlichter.
»Sie müssen entschuldigen«, bat die Hausherrin. »Sonst lassen wir zu Beginn unseres Jours fixe ein kleines Konzert aufführen, aber heute bestand mein Mann darauf, den Fernseher einzuschalten.«
Heimkino wäre der passendere Ausdruck gewesen. Etwa zwei Dutzend Leute hatten sich in dem dämmrigen Raum versammelt. Von ihren Sofas und Sesseln aus verfolgten sie den ARD-Brennpunkt. Moritz blickte auf die Uhr: Er hatte noch nicht viel verpasst.
Der imposante Flachbildschirm zeigte Bilder vom Explosionsort bei Tageslicht, aus dem gegenüberliegenden Haus aufgenommen. Zerstörte Fensterscheiben und Polizeibeamte in weißen Overalls, die auf dem Hof nach Spuren suchten. Dann folgte eine Chronologie verübter und vereitelter Anschläge seit dem 11. September 2001.
Das Interview mit Konrad Rolfes hätte nicht überzeugender ausfallen können – auf fast jede Antwort erntete der Schriftsteller Beifall im Wohnzimmer der van Straelens. Als Rolfes erwähnte, dass er wegen seiner Ablehnung der Kölner Zentralmoschee bereits Morddrohungen erhalten habe, musste Moritz erneut an Carola denken.
Im letzten Beitrag ging ein Reporter der Frage nach, was junge Leute dazu trieb, Bomben zu bauen und Terrorakte zu begehen. Fotos zeigten Dennis S. aus Haan, einen fröhlichen Jungen beim Badeurlaub am Meer. Dann als Yassin, grimmig und mit wildem Bart. Angehörige blieben wortkarg, Nachbarn äußerten sich ratlos. Dennis hatte immerhin die Realschule absolviert, die anschließende Lehre als Hörgeräteakustiker aber abgebrochen. Ein ehemaliger Kollege nannte ihn »verschlossen, aber fleißig«.
Das Resümee schien zu sein, dass es keine Erklärung gab.
Ein braun gebrannter Mittsechziger erhob sich, offenbar der Hausherr, ein Schrank von einem Kerl mit einer Fernbedienung in der Hand. Der Flachbildschirm erlosch, zugleich wurde das Licht im Raum heller.
»Ihr Lieben«, begann van Straelen, »ob der Idiot früher mal Dennis hieß und Hörstöpsel verkaufte, ist mir ehrlich gesagt egal. Genauso wie es mir egal war, ob Gudrun Ensslin Pastorentochter war oder Andreas Baader mit fünf noch ins Bett nässte. Es wird immer mal wieder Spinner geben, denen unsere Gesellschaft nicht passt. Die sie mit Gewalt verändern wollen. Wichtig ist nur, dass wir diese Leute rasch dingfest machen und möglichst für immer wegsperren.«
Die Stimme des Hausherren passte zu seiner Schrankfigur. Moritz stellte sich den Bariton einer Wagner-Oper vor. Ihm fiel ein, dass er den Mann schon einmal getroffen hatte: vor zehn Tagen im Sheraton am Düsseldorfer Flughafen.
Gundula van Straelen mischte sich ein: »Unser Lieblings-Caterer hat ein paar Häppchen zubereitet. Lasst es euch schmecken, meine Lieben.«
Zwei junge Frauen trugen Tabletts von Gast zu Gast. Moritz spürte, wie hungrig er war, und griff zu. Lachs und Spargel, eingehüllt in
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