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Sprengkraft

Sprengkraft

Titel: Sprengkraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Bundesvorstandssitzung war für achtzehn Uhr anberaumt. Zwanzig Frauen und Männer warteten auf die Parteivorsitzende, die sich noch immer nicht zurückgemeldet hatte. Es wurde getuschelt, Zeitung gelesen, telefoniert. Um Viertel nach sechs schlug Geschäftsführer Gräfe vor, ohne Carola Ott zu beginnen.

    Moritz kannte einige Vorständler noch nicht. Er hatte ein langwieriges Palaver mit Überbleibseln des rechtsextremen Flügels erwartet, Kritik am neuen Kurs, Vorbehalte gegen ihn und Gräfe. Doch auch die Repräsentanten der zuletzt gegründeten Landesverbände wirkten durchaus professionell und zogen am gleichen Strang, als hätte die Bombenexplosion von letzter Nacht sämtliche Eitelkeiten und Meinungsdifferenzen weggefegt.

    Zur Stunde waren bereits in mehr als dreißig Städten Demonstrationen angemeldet worden. Gräfe beglückwünschte Moritz zu der Idee. Der Anschlagsversuch bewegte die Republik, der geplante Aktionstag konnte nur ein Erfolg werden.

    Moritz staunte, wie weit der Parteiaufbau schon gediehen war. Keiner zweifelte daran, dass auch zur Bundestagswahl im nächsten Jahr eine Liste der Freiheitlichen kandidieren würde.

    Für die heiße Phase des NRW-Wahlkampfs schlug Vorstandsmitglied Norbert Still einen zweitägigen Kongress vor und hatte bereits einen Titel parat: Angriff der Scharia – Behauptung der Freiheit. Er stellte sich ein Tagungszelt auf der Kölner Domplatte vor, das Gotteshaus im Rücken und die geplante Zentralmoschee im Visier. Dazu wollte Still Vertreter ausländischer Schwesterparteien einladen, die zum Teil seit Längerem in ihren nationalen Parlamenten vertreten waren.

    Als Still aufzählte, welche Leute er aufs Podium holen wollte, beschlich Moritz wieder ein mulmiges Gefühl: Vlaams Belang, Lega Nord, FPÖ und Front National – die Aussicht, den französischen Rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen als prominenten Kongressredner nach Köln zu holen, ließ Stills Augen hinter den Brillengläsern glänzen.

    Zum Glück fand der Vorschlag nur wenig Zuspruch, denn Geschäftsführer Gräfe wies auf die Kosten eines solchen Spektakels hin. Ein Arbeitskreis wurde gegründet, der bis zur nächsten Sitzung konkretere Pläne formulieren sollte – der Auftrieb der Rechtsaußen Europas war erst einmal auf die lange Bank geschoben.

    Moritz verteilte den Pressespiegel der letzten Tage und Ausdrucke des neuen Internetauftritts der Freiheitlichen, der auch als inhaltliche Richtschnur der Parteiwerbung dienen sollte. Er hatte sämtliche Seiten neu getextet. Endlich waren sie frei von völkischem Geschwurbel, ausländerfeindlichen Plattitüden oder peinlicher Relativierung der deutschen Naziverbrechen.

    Rascher, als Moritz erwartet hatte, war die Sitzung beendet. Während er die übrig gebliebenen Unterlagen einsammelte, sprach Simon Gräfe ihn an: »Haben Sie heute Abend etwas vor?«

    Moritz dachte an Petra, die aber erst morgen zu Besuch kommen würde. »Warum fragen Sie?«

    »Im Haus eines Parteifreundes findet eine kleine Party statt. Freunde und mögliche Spender, denen ich ein paar Schecks aus dem Kreuz leiern möchte. Ursprünglich hatte Frau Ott zugesagt, eine kleine Ansprache zu halten. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie einspringen könnten.«

    »Ich bin kein guter Redner.«

    »Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Kommen Sie, Herr Lemke. Sie kriegen das schon hin.«

    Als sie gemeinsam den Aufzug betraten, fragte Gräfe: »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo Frau Ott stecken könnte?«

    »Ich hab den ganzen Tag versucht, sie zu erreichen.«

    »Ja, ich auch. Bei ihr zu Hause meldet sich nur die kleine Tochter oder ein Au-pair-Mädchen, das mit süßem Akzent meint, ich möge es später probieren.«

    »Wir sollten zur Polizei gehen«, sagte Moritz.

    »Wenn es bis morgen früh nicht ihr Mann getan hat, tun wir das«, stimmte Gräfe zu.

    Die Aufzugkabine öffnete sich im Untergeschoss. Die kahlen Wände der Tiefgarage ließen ihre Schritte hallen.

    »Ich muss ständig an Theo van Gogh denken«, sagte Moritz.

    »Sie meinen diesen niederländischen Filmemacher? Den Typen, der von einem fundamentalistischen Fanatiker ermordet wurde? Wann war das – vor vier oder fünf Jahren?«

    »Richtig. Van Gogh hatte öffentlich den Islam kritisiert. Genau wie Carola gestern Abend im Fernsehen.«

     
    Die Villa der van Straelens war in den Dreißigerjahren am Rand von Essen-Werden errichtet worden, ein wuchtiger Natursteinbau, die Fenster im Erdgeschoss waren

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