Sprengkraft
elegant.
Moritz zog den Zündschlüssel ab. Das Schweigen Petras war ihm in die Knochen gefahren. Wütende Attacken wären ihm fast lieber gewesen.
Er rannte durch den Regen zum schützenden Vordach. Unter der Klingel war der doppelte Nachname zu lesen. Moritz drückte den Knopf und musste nicht lange warten.
Er hatte einen Mann erwartet, dem man den Kotzbrocken ansah. Doch Ole Petersen wirkte fast sympathisch in seiner dunkelblauen Strickjacke, mit seinem Lächeln und der aufrechten Haltung. Makellose Zähne, ein markantes Kinn. Am meisten war Moritz über das Alter des Mannes erstaunt, deutlich über sechzig, schätzte er. Ihm fiel ein, dass er nicht einmal wusste, was Carolas Mann beruflich trieb. Er konnte sich ihn als Moderator von TV-Shows vorstellen, als Zahnarzt, aber auch als Barpianist im Grandhotel.
»Herr Lemke von den Freiheitlichen?«, fragte der freundliche Herr.
Moritz bejahte.
Leider bat ihn Petersen nicht ins Haus. Moritz hätte interessiert, wie Carola wohnte.
»Das hier müssten die Unterlagen sein.« Petersen übergab ihm eine Einkaufstüte, die zwei Aktenordner enthielt. »Ich habe sie auf Carolas Schreibtisch gefunden.«
»Danke«, sagte Moritz. »Und Sie haben keine Idee, wo sich Ihre Frau aufhalten könnte?«
Das Lächeln erlosch. Petersen blickte zu Boden. »Sie hat das schon einmal gemacht.«
»Was?«
»Einfach abhauen und nach einer Woche wieder auftauchen, als sei nichts gewesen. Schon etwas her, ein paar Monate nach der Geburt unserer Tochter.«
»Und warum?«
»Eine Art postnatale Depression.«
Moritz nickte, ohne genau zu wissen, was die Worte bedeuteten.
»Vielleicht waren die letzten Wochen zu viel für sie«, fügte Petersen hinzu. »Carola hat sich allerhand zugemutet. Vielleicht sitzt sie jetzt in einer Pension in der Eifel, liest einen Krimi und versucht abzuschalten. Ich hoffe es zumindest.«
»Hat sie Gepäck mitgenommen?«
Petersen schüttelte den Kopf. »Nur ihr Motorrad fehlt.«
Als Moritz die Akten im Kofferraum verstaut hatte, sah er noch einmal zum Haus zurück. Errichtet in den Siebzigern, schätzte er. Hinter der kleinen Scheibe der Eingangstür erlosch das Licht. Moritz ignorierte den Regen und ging am Grundstück entlang bis zum Nachbarhaus. Auch auf der Seite waren die Fenster dunkel. Sträucher verwehrten den Blick in den Garten. Die Tore der Doppelgarage waren verschlossen. Ein Bewegungsmelder sprang an und Licht flutete über die Zufahrt.
Carolas letzter Satz am Telefon: Was würdest du dazu sagen, wenn ich Ole verlasse?
Vielleicht hatte sie tatsächlich nur eine Spritztour unternommen, um etwas Abstand zu gewinnen.
»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, fragte Henning, als er die Tür aufmachte. »Und was soll das werden? Ein Heiratsantrag?«
Moritz hielt ihm eine Flasche spanischen Cava hin. Von der Sorte hatte er einen ganzen Karton an der Tankstelle erstanden. »Ich will mich für deine Hilfe in Sachen YouTube bedanken.«
»Du und deine komische Partei«, sagte Henning und schüttelte den Kopf. »Komm rein.«
Henning wohnte im Sechzigviertel von Nippes, einer ehemaligen Eisenbahnersiedlung. Seine Brötchen verdiente er als Teilhaber eines Computerladens. Er reparierte PCs und Laptops und schwatzte seinen Kunden teure Sicherheitssoftware auf, die jede Kiste so lahm machte, dass auch gleich ein größerer Arbeitsspeicher nötig wurde.
Jedes Mal, wenn Moritz die kleine Wohnung betrat, wunderte er sich, wie man in einer solchen Unordnung leben konnte. Henning warf nichts weg. Schon im Flur türmten sich Stapel von Zeitungen und Fachzeitschriften und ließen nur schmale Pfade frei. Die Wohnküche stand voller Gerümpel: ausrangierte Geräte, Monitore, von denen einige flimmerten – offenbar nahm Henning Arbeit mit nach Hause.
Moritz räumte eine Ecke des Esstischs frei und stellte den Karton ab. An dem ausladenden Möbelstück aus altem Teakholz hatte er schon manchen Abend mit Henning getrunken und diskutiert.
»Wir hatten aus dem Stand fast hunderttausend Klicks«, berichtete Moritz. »Ich werde nie verstehen, wie du das hinkriegst.«
»Sag mir, was los ist mit dir, Lemmi.«
»Ich hab Besuch zu Hause.«
»Und?«
»Petra.«
»Habt ihr euch gestritten?«
»Ich glaube, sie hat etwas gegen meinen aktuellen Job.«
»Ehrlich gesagt, mir ist es auch ein Rätsel, warum du bei den Freiheitlichen angeheuert hast.«
»Ich bin eben eine PR-Hure. Manchmal macht es mir sogar Spaß. Bald beginnt
Weitere Kostenlose Bücher