Sprengkraft
war.
Meine Brüder müssen mir helfen, dachte Rafi.
Er schob ganz langsam seine Beine aus dem Bett.
Das dünne Hemd, in das man ihn gesteckt hatte, reichte gerade bis zu den Oberschenkeln.
Beim ersten Schritt in Richtung Tür versagte sein rechtes Bein den Dienst. Rafi glitt zu Boden und stieß sich den Kopf am Metallrahmen des Betts. Mühsam zog er sich wieder hoch. Alles schmerzte. Sein Bein war fast taub.
An den Infusionsständer geklammert, humpelte er langsam vorwärts. Er drückte den Schlauch, um nicht mehr von dem Betäubungszeug abzukriegen. Trotzdem erwischte ihn ein neuer Schwindelanfall, ihm wurde heiß und kalt. Rafi fand einen Stuhl und wartete, bis es vorbei war.
Das Bein, die Müdigkeit – ich muss hier raus, dachte er. Mit Allahs Beistand werde ich es schaffen. Die Schweinefresser dürfen mich nicht länger festhalten, vergiften und im knappen Hemd der Lächerlichkeit preisgeben.
Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte durch den Spalt.
Die Schwesternschlampe mit dem fetten Arsch schäkerte am Ende des Flurs mit einem Kerl, der eine Uniform trug. Verdammt, ein Bulle!
Die Krankenschwester verschwand in einem Zimmer. Der Polizist folgte ihr.
Rafi schob sich in Richtung des Ausgangs. Lautlos, so hoffte er. Der Infusionsständer gab ihm einigermaßen Halt. Rafi erreichte die Tür. Er schwitzte vor Anstrengung, als er am Griff zog. Sein rechtes Bein schmerzte mehr als alles andere.
Er schlüpfte ins Treppenhaus, unbemerkt, al-hamdulillah!
Verschwitzt stand Rafi im Luftzug, der von unten heraufwehte. Er starrte auf den durchnässten Verband am Bein. Alles drehte sich. Rafi lehnte sich gegen die Wand und hoffte, dass es vorüberging.
Die Aufzugtür öffnete sich.
Eine Frau trat heraus und erstarrte vor Schreck.
Rafi erkannte sie sofort, obwohl sie das Haar kurz geschnitten und blond gefärbt hatte.
Das Bild vor seinen Augen verschwamm.
45.
Veller betrat die Empfangshalle und orientierte sich mit einem Blick auf die Anzeigentafel. Gleis fünfzehn – fast am anderen Ende des Bahnhofs.
Er schob sich durch das Gewühl Tausender Menschen, die durch die zentrale Passage strömten, im Gesicht den Frust des vergangenen Tages oder eine vage Hoffnung auf den neuen. Im Zeitschriftenladen deckte Veller sich mit der Tagespresse ein, an einem Imbissstand kaufte er sich ein Sandwich. Die Verkäuferin trödelte mit dem Wechselgeld. Er schenkte ihr die fünfzehn Cent und hastete weiter.
Er rannte die Rolltreppe hoch, sein Intercity stand bereits da. Kurz vor halb sieben – Veller staunte, wie frisch er sich fühlte.
Erst gegen Mitternacht hatte er Anna nach Hause gebracht. Fast wäre es noch später geworden. Veller war sich sicher, dass die Kollegin mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn auf einen letzten Schluck in ihre Wohnung einzuladen.
Dann wäre alles drin gewesen.
Der Zug setzte sich in Bewegung, immer rascher glitt die Stadt auf dem Weg nach Süden am Fenster vorbei. Der Puff hinter dem Bahndamm, die Oberbilker Allee, der Volksgarten. Vororte, Industriegebiete. Veller verschlang das belegte Baguette.
Nach gut zwanzigminütiger Fahrt fuhr der Zug in den Kölner Hauptbahnhof ein. Veller wechselte in den Intercity, der auf dem gegenüberliegenden Gleis wartete und ihn nach Karlsruhe bringen würde. Sein Platz war reserviert.
Eine junge Frau rollte den Kaffeewagen vorbei. Veller kaufte ihr einen Becher ab. Die Brühe war heiß und schmeckte dünn.
Veller studierte die Zeitungen. Die Regierung in Berlin tönte, als befände sich das Land im Krieg. Die Kanzlerin warnte vor einem Nine Eleven für Deutschland. Der Bundesinnenminister plädierte für eine Einschränkung des Grundgesetzes und die Freiheitlichen gaben sich noch radikaler: Sie forderten die serienmäßige Ausstattung aller Computer mit einer Software, die den Sicherheitsbehörden das jederzeitige Mitlesen sämtlicher Daten ermöglichte.
Chinesische Verhältnisse, dachte Veller. Die Republik spielte verrückt.
Kurz vor acht Uhr verließ der Zug den Fernbahnhof des Frankfurter Flughafens.
Veller wählte Dombrowskis Büronummer im Landeskriminalamt.
»Was gibt’s Neues, Stefan?«, erkundigte er sich.
»Diouri ist abgehauen!«
»Bitte?«
»Du kannst dir nicht vorstellen, was los ist.«
»Rafi Diouri? Ich dachte, der Kerl liegt im Koma!«
»Dass er aufgewacht ist, war wohl von den Ärzten geplant. Aber dass er aufstehen könnte, hätte niemand für möglich gehalten.«
»Und die
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