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Sprengstoff

Sprengstoff

Titel: Sprengstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ausgelesen.
    »Bart? Bist du noch da?«
    »Ja, ja. Ich hab’ grad ein wenig geträumt.« 
    »Ist dir ein Uhr recht?«
    »Ja, sicher.«
    »Gut. Gibt es sonst noch was?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Also …«
    »Paß gut auf dich auf, Mary.«
    »Mach’ ich. Wiedersehen, Bart.«
    »Wiedersehen.«
    Sie legten auf, und er ging in die Küche, um sich einen Drink zu mixen. Diese Frau, mit der er da gerade am Telefon gesprochen hatte, war nicht mehr dieselbe Frau, die noch vor einem Monat in Tränen aufgelöst auf der Wohnzimmercouch gesessen und ihn um eine Erklärung angefleht hatte, wieso auf einmal so ein großes Unglück über sie hereingebrochen sei und die Arbeit von zwanzig Jahren kaputtgemacht hätte.
    Es war erstaunlich. Er schüttelte den Kopf, wie er ihn bei der Nachricht geschüttelt hätte, daß Jesus vom Himmel herabgefahren wäre, um Präsident Nixon in einem Feuerwagen ins Paradies zu holen. Sie hatte sich erholt. Mehr als das, sie hatte eine Persönlichkeit wiedergefunden, die er kaum kannte, eine jugendliche Frau, an die er sich nicht erinnern konnte. Wie ein Archäologe hatte sie diese Frau wieder ausgegraben und gefunden; sie war zwar von der langen Lagerung ein bißchen steif in den Gelenken, aber sonst vollkommen brauchbar. Die Gelenke würden sich mit der Zeit lockern, und die neue-alte Person würde eine gesunde Frau werden. Sie würde von der Aufregung zwar noch ein paar Narben zurückbehalten, aber sie war nicht ernstlich beschädigt. Er erkannte das vielleicht deutlicher, als sie glaubte. Allein ihr Tonfall hatte ihm gesagt, daß sie auf eine Scheidung lossteuerte. Sie wollte einen klaren Bruch mit der Vergangenheit … einen, der glatt heilen und kein Hinken zurücklassen würde. Sie war erst achtunddreißig. Das halbe Leben lag noch vor ihr. Und es gab keine Kinder, die unter dem Scheitern ihrer Ehe leiden könnten. Er würde ihr die Scheidung nicht vorschlagen, aber wenn sie es täte, würde er einwilligen. Er beneidete sie um die neue Persönlichkeit und um ihre neugewonnene Schönheit. Wenn sie ihre gemeinsame Ehe in zehn Jahren als einen dunklen Tunnel betrachtete, der sie ans Licht geführt hatte, würde er traurig sein, daß sie es so empfand, aber er würde es ihr nicht übelnehmen. Nein, er konnte es ihr nicht verdenken.

21. Dezember 1973
    Er hatte ihr die Geschenke in Jean Calloways. Wohnzimmer überreicht, das von einer laut tickenden Messinguhr beherrscht wurde, und die darauf folgende Unterhaltung war gespreizt und unnatürlich gewesen. Er war noch nie mit ihr allein in diesem Raum gewesen und hatte ständig das Ge-fühl, sie müßten die Situation ausnutzen und miteinander schmusen. Es war eine eingerostete, überholte Anwandlung, und er kam sich selbst wie eine schlechte Neuausgabe seines früheren College-Selbst vor.
    »Hast du dir die Haare färben lassen?« fragte er.
    »Nur ein bißchen.« Sie zuckte die Achseln.
    »Sieht nett aus. Macht dich jünger.«
    »Du wirst an den Schläfen ein bißchen grau, Bart. Das macht dich distinguierter.«
    »Quatsch, es macht mich alt.«
    Sie lachte - ein bißchen zu hoch - und betrachtete die Geschenke, die sie auf einem Beistelltisch abgelegt hatte. Er hatte nur die Eulenbrosche eingepackt, die Puppen und das Schachspiel überließ er ihr. Die Puppen blickten unbeteiligt an die Zimmerdecke, als warteten sie auf ein paar kleine Mädchenhände, die sie zum Leben erwecken würden.
    Er sah Mary an. Ihre Blicke trafen sich einen Moment, und sie wirkte sehr ernst. Er dachte, daß sie drauf und dran sei, die unwiderruflichen Worte auszusprechen, und er hatte Angst. Doch in dem Augenblick sprang der Kuckuck aus der Uhr und verkündete, daß es halb zwei sei. Sie zuckten beide zusammen und lachten dann. Der Augenblick war vorüber. 
    Er stand auf, damit er nicht wiederkehren könnte. Von einem Kuckuck gerettet, dachte er. Das paßt.
    »Ich muß gehen«, sagte er.
    »Hast du eine Verabredung?«
    »Ein Vorstellungsgespräch.«
    »Wirklich?« fragte sie erfreut. »Eine Arbeit? Wann? Wo? Wieviel?«
    Er schüttelte lachend den Kopf. »Es gibt mindestens ein Dutzend Bewerber, die ebenso gute Chancen haben wie ich. Ich werd’s dir sagen, wenn ich sie gekriegt habe.«
    »Du bist eingebildet.«
    »Klar.«
    »Bart, was machst du zu Weihnachten?« Sie sah ernst und feierlich drein, und plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es eine Weihnachtseinladung und nicht der Vorschlag zur Scheidung im neuen Jahr gewesen war, was sie vorhin beschäftigt hatte.

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