Spring in den Himmel
ein kurzer Urlaub, weil mehr nicht drin war. Kein Schüleraustausch, weil für einen Gastschüler in der kleinen Wohnung gar kein Platz war. Und wahrscheinlich auch kein Studium, weil es viel kostete und trotzdem nicht klar war, ob sie nachher einen gut bezahlten Job bekam. Nein, sie konnte aus ihrem Leben nicht unbedingt machen, was sie wollte. Aber im Moment fühlte es sich so an. Sie war entspannter und sorgloser als sonst, als hätte Yoyos Mut sie angesteckt.Als sie die Tür zur Wohnung aufschloss, konnte sie den Alltag riechen und schmecken. Er hatte etwas von Gemüsesuppe und frischer Wäsche. Und in der Küche konnte sie ihn auch sehen: Hier hatte er etwas von ungespültem Geschirr und Krümeln auf dem Boden. Dennoch … Dieses neue Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit war noch nicht ganz weg. Jamina sah, dass Tee da war, der Vater hatte ihn sicherlich für sie stehen gelassen. Weil er wusste, dass sie eine Tasse mögen würde.
Alexander lächelte sie an, als er die Tür öffnete.
»Hi, schön dich zu sehen.«
»Ich wollte Rafik abholen.«
»Komm doch erst mal rein.«
»Nervt er dich noch nicht?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Er spielt mit meinem Opa Halma. Aber ich fürchte, er verliert. Opa war in Halma immer unschlagbar.«
»Oje, ich kann mich erinnern, wie er uns beide früher immer besiegt hat.«
»Du warst aber eindeutig eine bessere Verliererin als dein kleiner Bruder.«
»Dafür hast du dich immer geärgert.«
Sie sahen sich an, lächelten.
»Was glotzt ihr denn so?«
Rafik stand in der Wohnzimmertür und beobachtete sie. Jamina senkte den Blick und schwieg. Offenbar fiel Alexander auch keine Antwort ein, denn auch er sagte nichts.In der Ecke stand Alexanders Sporttasche. Der Reißverschluss war halb offen, ein weißer Kampfanzug zu sehen.
»Hu, ha!«
Rafik hob die Arme und zeigte die Handkanten, er schleuderte eines seiner kleinen Beine durch die Luft, verlor fast das Gleichgewicht. Jamina fing ihn auf.
»Sei vorsichtig, irgendwann zerschlägst du noch das Geschirr.«
»Das macht man so beim Kung Fu!«
»Ich mache aber Judo«, korrigierte ihn Alexander.
»Hauptsache, man kann andere verhauen«, behauptete Rafik.
»Darum geht's überhaupt nicht«, erklärte Alexander und wollte weiter ausholen, aber Jamina schob Rafik in Richtung Wohnzimmer zurück.
»Frag doch Herrn Kamke, ob er Tee mag.«
Für einen Moment waren sie wieder allein.
Schwiegen. Sahen sich an, gingen in die Küche.
Alexander setzte Teewasser auf, Jamina sah sich das Buch an, das auf dem Tisch lag.
»Englischlektüre«, erklärte Alexander.
»Spannend?«
Er zog eine Grimasse. »Geht so.«
»Leihst du's mir, wenn du damit fertig bist?«
Alexander grinste. »Du liest auch wirklich alles, oder?«
Sie hörte die Uhr ticken, das Sirren des Wasserkessels. Aus irgendeinem Grund machte Alexanders Anwesenheit sie befangen. Dabei kannten sie sich doch ewig. Erwar nur größer geworden im Laufe der Jahre, trug die dunkelbraunen Haare länger. Aber seine grünen Augen leuchteten wie früher. Das war ihr schon als Kind aufgefallen. Alexanders grüne Augen. Die im Sommer aus dem braun gebrannten Gesicht hervorstachen. Die mehr lachten als sein Mund. Hatte nicht Yoyo ganz ähnliche Augen? Vielleicht war sie ihr deshalb so vertraut vorgekommen … Komisch, dass ausgerechnet dieses Mädchen sie an Alexander erinnerte, den sie seit Kindertagen kannte.
»Wie geht's deiner kleinen Schwester?«
Ein anderes Thema.
»Alles okay. Sie macht im Kindergarten anscheinend ziemlich viel Wirbel, ich glaube, die sind froh, wenn sie im Herbst zur Schule kommt.«
»Und du hast in ein paar Wochen schon dein Abitur.«
»Erinnere mich bloß nicht dran.« Alexander seufzte. »Ich weiß gar nicht, wo ich mit dem Lernen anfangen soll.«
»Wenn du jemanden brauchst zum Abfragen …«
Jamina kam sich sofort blöd vor, als sie es vorgeschlagen hatte. Aber Alexander sah sie dankbar an.
»Total nett, danke. Ich komm vielleicht noch darauf zurück.«
»Mach dich auf was gefasst. Ich bin sehr streng! Frag Rafik.«
Sie lächelten sich an. Seine grünen Augen, sein vertrautes Gesicht. Sie hielt dem Blick stand.»Irgendwie bist du heute anders«, sagte Alexander auf einmal.
Jamina schüttelte den Kopf. »Ich bin wie immer.«
Sie wurde rot, als sie merkte, dass Alexander sie immer noch musterte – und jetzt senkte sie doch die Augen. Er öffnete den Mund, wollte ihre Antwort offenbar kommentieren …
»Opa Kamke sagt, er mag Bier statt
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