Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
Leben gerettet, und auch wenn ich beim besten Willen keinen Dank erwartet hatte, war dieser persönliche Angriff doch einfach jenseits von Gut und Böse.
***
Als wir das Leben von Rüdiger J. retten wollten, war die Situation gänzlich anders als bei dem Ausraster-Junkie.
Ob Rüdiger J. sich wirklich umbringen wollte, weià ich bis heute nicht. An jenem Abend schien er es sich jedenfalls fest vorgenommen zu haben.
Er hatte sich ordentlich Mut angetrunken und war zur Hohenzollernbrücke gegangen. Dort stand er beinahe eine halbe Stunde am Geländer, bevor er sich in den Rhein stürzte. Es war sein Glück, dass er so lange gezögert hatte, denn dadurch war er ein paar aufmerksamen Passanten aufgefallen. Sie konnten Rüdiger J. zwar leider nicht von seinem Sprung abhalten, aber wenigstens riefen sie sofort die Polizei, die den Mann schlieÃlich bei Mühlheim aus dem eiskalten Wasser fischen konnte.
Es war Januar, die AuÃentemperaturen lagen nur knapp über null Grad, und der Fluss dürfte nicht viel wärmer gewesen sein. Solche Temperaturen verträgt der menschliche Körper nicht lange, gerade im Wasser kühlt er schnell aus. Die ersten Anzeichen einer Unterkühlung sind Muskelzittern, Herzrasen, eine beschleunigte Atmung sowie eine leichte Beeinträchtigung des Bewusstseins. Dieses Stadium hatte Rüdiger J. längst hinter sich, als er zu uns in die Notaufnahme gebracht wurde.
Er zitterte nicht mehr, und sein Herz schlug langsam und unregelmäÃig. Er war bewusstlos und zeigte kaum noch Reflexe, seine Körpertemperatur lag bei erschreckenden 28 Grad. Kurz gesagt: Es war allerhöchste Eisenbahn.
Das Wichtigste bei einem stark unterkühlten Patienten ist, seine Betriebstemperatur so schnell wie möglich wieder hochzufahren und dabei den sogenannten Bergungstod um jeden Preis zu verhindern. Der Bergungstod kann eintreten, wenn der Patient nicht richtig aufgewärmt wird. Wie im Fall von Rüdiger J. ist es deshalb wichtig, die Arme und Beine des Patienten erst einmal in Ruhe zu lassen. Warum? Ganz einfach. Der Mensch gibt die vom Körper produzierte Wärme über die Körperoberfläche ab. Um bei Unterkühlung ein weiteres Absinken der Körpertemperatur zu verhindern, wird die Durchblutung der Körperoberfläche verringert, und das warme Blut konzentriert sich auf die überlebenswichtigen Organe im Inneren. Die Temperatur in Haut, Armen und Beinen sinkt dabei noch weiter ab. Ist der Temperaturunterschied zwischen den Extremitäten und dem Inneren des Körpers zu groÃ, flieÃt beim Wiederaufwärmen von Armen und Beinen oder beim Bewegen der unterkühlten Person kaltes Blut zurück ins Innere. Dort sinkt die Temperatur dann ebenfalls weiter ab, und es kann zum Herzstillstand kommen.
Daher hat es oberste Priorität, das Körperinnere wieder warm zu kriegen. Für solche Fälle haben wir ein spezielles Wärmegerät, das Infusionen anwärmt, die den Patienten direkt warm in die Blutbahn gegeben werden.
»Wo bleiben die Infusionen, Schwester!«, rief Dr. Alma A. aus dem Behandlungsraum. »Los, schnell!«
Auch wenn das Herz-Kreislauf-System von Rüdiger J. nun überwacht wurde, galt es, keine Zeit zu verlieren. Suchend eilte ich durch die Notaufnahme, konnte das Wärmegerät aber nirgends finden.
»Das ist auf der Intensiv!«, sagte Susi.
»Mist. Ich brauche es aber!«
»Tja, die Kollegen auf der Intensiv auch.«
»Und jetzt?«
Schwester Susi zuckte nur ratlos mit den Schultern. Wieder hörte ich Dr. A. rufen.
»Schwester Anna! Die Infusionen!«
Irgendwie musste ich an angewärmte Infusionen kommen. Aber wie? Ich konnte sie doch nicht ⦠oder doch?
»Mikrowelle!«, stieà ich hervor und marschierte Richtung Teeküche. Susi lief mir aufgeregt hinterher.
»Du willst die Infusionen doch nicht in der Mikrowelle warm machen?«
»Hast du eine bessere Idee?«
Sie schüttelte den Kopf. Also legten wir die Infusionsbeutel in die Mikrowelle und erhitzten alles vorsichtig. Da es sich nur um Kochsalzlösungen handelte, konnten wir keine Inhaltsstoffe zerstören. Es kam einzig und allein auf die richtige Temperatur an. Es machte »pling«, ich nahm die Beutel raus und schnappte mir ein Thermometer.
»Perfekt!«
Im Laufschritt ging es zurück zu Rüdiger J., und innerhalb weniger Augenblicke floss die warme Infusion durch seinen
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