Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
angsterfüllt. »Die Erde tut sich auf! Die verdammte Erde tut sich auf!«
Ich sah Dr. A. seufzend an.
»Definitiv was Psychedelisches«, sagte sie. »Wir geben ihm Diazepam.«
Diazepam ist ein starkes Beruhigungsmittel, das für gewöhnlich jeden Horrortrip zuverlässig beendet. Um ihm die Injektion geben zu können, mussten wir Wolfram W. allerdings erst mal zu fassen kriegen. Und das war nicht ganz einfach.
Vor seinem inneren Auge schien sich inzwischen der gesamte Boden aufgetan zu haben, sodass er panisch durch die Notaufnahme sprang und immer nur »Erdspalten! Verdammte Erdspalten!« schrie. Ich wünschte mir ein Betäubungsgewehr wie die Tierärzte im Zoo es haben, aber natürlich gab es bei uns so etwas nicht.
Also mussten wir versuchen, ihn ohne Hilfsmittel einzufangen. Eine Jagd durch die Flure begann, und es kostete uns einige Mühe, Wolfram W. zu packen und ihm das Diazepam zu verabreichen.
Zum Glück setzte die Wirkung schnell ein, und der junge Mann war nach einiger Zeit wieder bei Verstand.
»Erdspalten«, sagte ich tadelnd zu ihm, und er grinste mich mit hochrotem Kopf schief an.
»Tut mir leid, ich weià auch nicht, was mit mir los war.«
»Red keinen Quatsch! Natürlich weiÃt du, was los war! Du warst auf einem Trip! Was hast du bloà genommen?«
»Nichts.«
»Ach komm!«
»Also nichts Schlimmes, meine ich â¦Â«
»Na, ganz so harmlos war es offensichtlich nicht! Was war das für ein Zeug?«
Er zögerte etwas, bevor er mir eine Antwort gab.
»Meine Oma hat zum Geburtstag einen Strauà mit Engelstrompeten bekommen ⦠und ich hatte gehört, dass man daraus einen tollen Tee zaubern kann, der genauso wirkt wie LSD â¦Â«
Ich verdrehte die Augen.
»Junge! WeiÃt du eigentlich, wie gefährlich das ist? Es gibt Leute, die waren tagelang auf so einem Trip! Oder sie dachten, sie könnten fliegen und stürzten sich irgendwo runter! Mann, das ist lebensgefährlich! Wieso machst du denn so was?«
Er zuckte nur mit den Achseln. »Nur so.«
Nur so! Die Engelstrompete ist eine hochgiftige Pflanze, die einen durchaus umbringen kann. Daraus »nur so« mal einen Tee zu kochen, war wirklich ein grandioser Einfall.
Für die nächsten Stunden kam er zur Beobachtung auf die Station, auch unser Psychologe hatte noch ein intensives Gespräch mit ihm, dann konnte er entlassen werden.
Ich traf ihn am Ausgang der Klinik, und er sagte mir zum Abschied etwas, das ich sehr bezeichnend fand.
»Es war doch nur eine Pflanze!«, verteidigte er sich. »Keine Chemie, nichts Synthetisches. Ich versteh überhaupt nicht, warum eine stinknormale Blume so gefährlich sein soll.«
Ich befürchte, so denken viele junge Leute. Nach dem Motto: Was in Omas Vase steht, kann doch nicht lebensbedrohlich sein.
»Würdest du auch einfach Heroin nehmen?«, fragte ich ihn daraufhin.
Empört schüttelte er den Kopf.
»Natürlich nicht! Ich bin doch nicht irre!«
»Auch nicht, wenn deine Oma einen Strauà Mohnblumen geschenkt bekäme?«
Wolfram W. sah mich erstaunt an. Dann nickte er einsichtig.
»Heroin wird aus Mohn ⦠verstehe. Pflanzen können also schon gefährlich sein â¦Â«
Nachdenklich verlieà er das Krankenhaus, und ich hoffe inbrünstig, dass seine Experimentierphase damit beendet war.
***
Blumenfreund Wolfram W. werde ich nie vergessen. Und das liegt nicht nur an seinem spektakulären Trip, den er bei uns hatte, sondern auch an dem Mann, der ihn zu uns in die Notaufnahme brachte: Rettungssanitäter Frank.
Die Notaufnahme eines Krankenhauses mag nicht das romantischste Plätzchen auf Erden sein, doch man kann sich hier durchaus verlieben. Und wie an jedem anderen Arbeitsplatz auch, gibt es genau zwei günstige Zeitpunkte zum Flirten: in der Pause und während der Arbeit.
Die Pause ist natürlich gerade in der Notaufnahme die attraktivere Option. In der Regel ist man in der Kantine oder im Aufenthaltsraum jedenfalls nicht von Blut und Erbrochenem umgeben, sondern kann sich in einem relativ gepflegten Ambiente unterhalten und kennenlernen.
Dr. Uwe M. hat sich in solch einer unspektakulären Mittagspause in die attraktive Röntgenassistentin verknallt â schön für die beiden, die heute immer noch zusammen sind, aber nicht wirklich ungewöhnlich.
Bei mir und Frank, dem Rettungssanitäter, war das ein
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