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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Tarneke
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nur noch Heroin und Crack.
    Und genauso sah er aus. Er war wahnsinnig dünn, hatte kaum noch Zähne im Mund, und sein Körper war mit Abszessen übersät. Es musste schwierig für ihn sein, sich überhaupt noch einen Schuss setzen zu können, da die üblicherweise herangezogenen Venen alle verhärtet oder vernarbt waren. Irgendwie hatte er es anscheinend trotzdem geschafft und war bewusstlos in die Notaufnahme eingeliefert worden.
    Er war nicht ansprechbar, und seine Atmung war so flach, dass man sie kaum noch wahrnehmen konnte. Seine Haut war bereits bläulich verfärbt, es war also allerhöchste Zeit, dass er zu uns kam.
    Sofort kümmerten wir uns um seine Beatmung, überwachten seinen Kreislauf und die Herzfrequenz und spritzten ihm außerdem Naloxon. Es war nicht einfach, eine funktionstüchtige Vene zu finden, und ich habe selten so viele zerstörte Adern gesehen. Irgendwann gelang es dem Arzt, und das Naloxon floss in den Körper des jungen Mannes.
    Naloxon ist ein tolles Medikament. Es hat schon zig Junkies das Leben gerettet. Ein sogenannter Opioid-Antagonist, der die Wirkung des Heroins innerhalb kürzester Zeit aufhebt. Einziger Nachteil: Bei Opiat-Abhängigen löst dieses Wundermittel ratzfatz ein Entzugssyndrom aus.
    Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, wie sich ein Junkie auf Entzug benimmt. Haben Sie mal Der Exorzist gesehen? Die Szene, als Linda Blair im Bett liegt? Nun, das Ganze kommt einem ordentlichen Heroinentzug recht nahe. Es gibt Patienten, die vollkommen ausrasten, wenn sie auf Turkey sind. Neben körperlichen Schmerzen spielt ihnen vor allen Dingen die Psyche übel mit. Depressionen sind da keine Seltenheit, um es vorsichtig zu formulieren.
    Ein Junkie aber, den man gerade von seinem Trip geholt hat, der ist vor allen Dingen eins: stocksauer.
    Â»Hallo? Hören Sie mich?«, fragte ich Martin D. behutsam, als er langsam die Augen aufschlug und sich seine Atmung normalisierte.
    Â»Ich bin Schwester Anna. Sie sind im Krankenhaus. Verstehen Sie mich?«
    Mit wirren Augen sah er mich an.
    Â»Was? Was ist? Wo bin ich?«, murmelte er undeutlich unter seiner Atemmaske.
    Â»Alles ist gut. Im Krankenhaus, in der Notaufnahme. Ich bin Krankenschwester, okay?«
    Â»Was? Schwester? Krankenschwester?«
    Nur langsam kam er zu Bewusstsein. Ich redete weiter beruhigend auf ihn ein.
    Â»Sie hatten eine Überdosis. Es war ganz schön knapp. Aber jetzt sind Sie auf einem guten Weg.«
    Ich lächelte ihm aufmunternd zu und sah seinen Augen an, dass er nun wieder voll und ganz da war. Doch von einer Sekunde auf die nächste veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen (ich erinnere an dieser Stelle erneut an Linda Blair …), und er riss sich wütend die Atemmaske ab. Abrupt setzte er sich auf und kreischte los.
    Â»Was fällt dir ein? Was soll die Sch***? Du kannst mir doch nicht einfach meinen Trip versauen! Das kriegst du zurück! Ich schneid dir die T*** ab, du dreckige Sch***!«
    Mit einem irrsinnigen Brüllen versuchte er, auf mich loszugehen.
    Â»Ich mach dich kalt, du verdammte F***!«
    Zum Glück verhedderte er sich bei seiner Attacke in den zahlreichen Kabeln und Infusionen, an denen er dranhing. Was ihn jedoch nicht am Weitertoben hinderte. Er holte aus und schlug nach mir, erwischte mich aber nur am Oberarm.
    Ich stand einen Moment lang regelrecht unter Schock und war einige Sekunden nicht in der Lage, irgendetwas zu tun.
    Â»Ich mach dich fertig, du Sch***!«
    Glücklicherweise schrie er derart laut, dass es keine Minute dauerte, bis Susi und Iris, gefolgt von Dr. A. zu Hilfe eilten. Gemeinsam hielten wir ihn fest, während Dr. A. ihm ein Beruhigungsmittel spritzte. Dabei brüllte Martin D. die ganze Zeit, als wäre er von Sinnen und trat wie ein Irrer um sich.
    Endlich wirkte das Mittel, und er wurde etwas ruhiger. Sauer war er aber immer noch.
    Â»Schweinerei ist das … mir einfach meinen Trip zu versauen … A*** verdammte …«
    Kopfschüttelnd und leicht verstört verließ ich den Behandlungsraum. An diesem Tag musste ich mir immer wieder sagen, dass Martin D. ein schwer kranker Mann war und man sich deshalb seinen Tobsuchtsanfall nicht zu Herzen nehmen durfte.
    Aber manchmal kam auch in mir die Wut hoch, und ich gebe gerne zu, dass ich an diesem Tag die Faxen dicke hatte. Wir hatten diesem jungen Mann immerhin das

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