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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Tarneke
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behandlungsbedürftig.
    Â»Ich weiß auch nicht, wie es so weit kommen konnte!«, jammerte die 62-jährige Frau. »Ich habe mich irgendwo gestoßen, es war nur eine Schramme, aber jetzt sieht es so aus, und ich kann kaum noch laufen!«
    Â»Sind Sie Diabetikerin?«, fragte ich Frau V., die mich nur ratlos ansah.
    Â»Dia was?«
    Schon da hätten meine Alarmglocken läuten müssen. Natürlich erwarte ich von niemandem ein detailliertes medizinisches Fachwissen, aber Diabetes? Das hat man doch schon mal gehört, oder liege ich da falsch?
    Wie sich nach einigen Untersuchungen herausstellte, handelte es sich bei der Dame nicht um eine Diabetikerin. Die Wunde hatte sich einfach so entzündet. Das kann vorkommen, wenn die Hygiene vernachlässigt wird oder jemand ein Drogen- oder Alkoholproblem hat. Ähnlich wie bei Diabetikern ist nämlich bei Suchtkranken die Infektionsgefahr deshalb so riesig, weil die Wundheilung gestört ist.
    Alkoholikerin war Frau V. allerdings ebenso wenig wie ein Junkie.
    Â»Kann es sein, dass Sie Ihre Körperhygiene etwas vernachlässigt haben?«, fragte ich sie freundlich.
    Â»Die was?«
    Â»Ihre Körperpflege. Waschen, Duschen – an die Wunde darf kein Dreck kommen.«
    Empört sah die Frau mich an. »An die Wunde ist noch nie Dreck gekommen! Bei mir zu Hause ist alles picobello!«
    Irgendwie klang das für mich nicht glaubhaft.
    Nachdem ich die Wunde gereinigt und verbunden hatte, durfte Frau V. wieder nach Hause gehen. Der Doktor gab ihr noch ein Antibiotikum mit und schärfte ihr ein, dass sie unbedingt alle zwei Tage zum Verbandwechseln zu uns kommen sollte.
    Â»Wenn Ihnen das zu weit ist, dann gehen Sie zu Ihrem Hausarzt«, sagte ich zum Abschied. »Auf jeden Fall muss alle zwei Tage ein neuer Verband drauf!«
    Â»Ja natürlich, ich weiß Bescheid«, sagte Frau V.
    Drei Wochen später sah ich sie wieder. Ein Blick genügte mir, um zu sehen, dass mein Verband die ganze Zeit über auf der Wunde gewesen war.
    Ich erspare Ihnen eine ausführliche Beschreibung, denn ehrlich, ich bin mir sicher, Ihnen würde sofort schlecht werden.
    Für einen Moment überlegte ich, Frau V. eine Standpauke zu halten. Aber was würde das bringen? Wen es nicht weiter störte, drei Wochen mit einem stinkigen, versifften Verband herumzulaufen, den dürfte ein bisschen Schimpfe von einer Krankenschwester auch nicht sonderlich beeindrucken.
    Â»Wie ist es mit den Schmerzen?«, erkundigte ich mich stattdessen, während ich vorsichtig begann, den Verband abzulösen.
    Â»Viel besser!«, sagte Frau V. strahlend. »Ich merke nichts mehr!«
    Das gab mir angesichts dessen, was ich vor mir sah, nun wirklich zu denken. Doch bevor ich darauf eingehen konnte, biss ich mir erschrocken auf die Unterlippe.
    Â»Oh nein …«
    Â»Was ist passiert?«, fragte Frau V. ahnungslos. »Haben Sie zu Hause den Herd angelassen? Oder sonst was vergessen?«
    Nein, ich hatte nichts vergessen. Frau V. hatte vergessen, ihren Verband zu wechseln, und das war schamlos ausgenutzt worden – von Maden, die es sich in ihrer Wunde gemütlich gemacht hatten. Jetzt war auch klar, warum Frau V. keine Schmerzen mehr verspürte. Das Gewebe war abgestorben und von den Maden mit gesundem Appetit verzehrt worden. Die Frau hatte Glück, dass sie sich keine Blutvergiftung eingefangen hatte.
    Da ich Ihnen schon die Beschreibung des Verbands erspart habe, will ich mir die der Wunde nun erst recht verkneifen. Womöglich müssten Sie sich sonst übergeben.
    Wenigstens musste Frau V. nicht operiert werden, die Maden hatten ganze Arbeit geleistet. Mit einem frischen Verband konnte sie entlassen werden.
    Â»Passen Sie gut auf sich auf«, ermahnte ich sie. »Und achten Sie vor allen Dingen darauf, dass die Wunde sauber bleibt.«
    Kopfschüttelnd sah Frau V. mich an.
    Â»Sauber, sauber, sauber! Sie hören sich schon an wie meine Tochter«, sagte sie und äffte deren Stimme nach. »Mama, du solltest endlich mal aufräumen! Der Müll muss aus der Wohnung! Hier kommt man ja kaum noch durch! Blablabla. Ich kann es nicht mehr hören.«
    Genervt und auf zwei Krücken gestützt, humpelte Frau V. aus dem Krankenhaus.
    Und da war mir endgültig klar, dass jede weitere Diskussion über Hygiene überflüssig war. Gutes Zureden hat bei einem Messie leider noch nie etwas gebracht. Eine Psychotherapie wäre

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