Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Tarneke
Vom Netzwerk:
nicht zugetraut hätten, wenn Sie ihm irgendwo auf der Straße begegnet wären. Ordentliche Kleidung, gewaschene Haare – auf den ersten Blick war aus hygienischer Sicht nichts zu beanstanden.
    Doch der Eindruck täuschte.
    Carsten G. sah mitgenommen aus, als er vor mir stand. Der 59-Jährige war an diesem heißen Sonntagvormittag mit dem Bus zum Krankenhaus gekommen und entschuldigte sich immer wieder, dass er nicht bis Montag warten konnte.
    Â»Tut mir wirklich leid. Ich weiß, morgen könnte ich auch zum Hausarzt gehen, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.«
    Â»Was ist denn los?«, fragte ich ihn und reichte ihm erst mal ein Glas Wasser. Draußen waren es fast 40 Grad, Köln erlebte einen der heißesten Sommer der Geschichte.
    Â»Ich habe unerträgliche Schmerzen«, stöhnte Carsten G. und rieb sich das Kinn. »Mein ganzer Kiefer tut weh, es fühlt sich so an, als hätte mir jemand mit der Faust ins Gesicht geschlagen.«
    Â»Seit wann haben Sie die Schmerzen?«
    Â»Seit ein paar Wochen. Ich hatte mir vorgenommen, zum Arzt zu gehen, aber irgendetwas kam immer dazwischen. Und heute Morgen wurde ich schon um vier Uhr wach, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Tut mir leid, dass ich Sie damit belästigen muss.«
    Ich lächelte Carsten G. an, der mit seinem geschwollenen Gesicht und der schmerzverzerrten Miene ein furchtbar jammervolles Bild abgab.
    Â»Dafür sind wir doch da, Herr G. Ich werde gleich mal den Arzt rufen.«
    An diesem Sonntag hatte Dr. Alma A. Dienst. Beschwerden im Kiefer zählen zwar nicht zu den Fachgebieten einer Internistin, können aber von verschiedenen inneren Erkrankungen herrühren. Zum Beispiel klagen viele Patienten über Zahnschmerzen, die tatsächlich aber eine Nebenhöhlenvereiterung haben.
    Vorsichtig tastete Dr. A. den Kiefer des Mannes ab.
    Â»Geschwollen«, stellte sie fest. »Da ist eine Entzündung drin, und zwar nicht zu knapp. Machen Sie bitte mal Ihren Mund auf.«
    Carsten G. tat, wie ihm geheißen, und Dr. A. schreckte kurz zurück.
    Â»Starker Mundgeruch«, erklärte sie dann nüchtern. »Spricht ebenfalls für eine Entzündung. Sie tragen eine Prothese?«
    Â»Was?«
    Â»Ein Gebiss, Sie haben ein Gebiss?«
    Â»Ja, das ist richtig. Seit jetzt … seit sieben Jahren habe ich ein Gebiss.«
    Â»Okay. Dann nehmen Sie es bitte mal heraus, vielleicht liegt die Entzündung darunter.«
    Â»Was?«
    Â»Nehmen Sie bitte das Gebiss heraus.«
    Carsten G. sah unsere Frau Doktor an, als käme sie vom Mond.
    Â»Das Ding kann man rausnehmen?«, fragte er ungläubig.
    Es war einer der wenigen Momente, an die ich mich erinnern kann, in denen es Dr. A. die Sprache verschlug. Und mir ging es genauso. Wahrscheinlich waren es nur wenige Sekunden, aber es kam mir vor, als wenn sie den Patienten minutenlang anstarrte. Dann fing sie sich wieder.
    Â»Sie haben das Gebiss seit sieben Jahren nicht herausgenommen?«, wollte sie wissen.
    Carsten G. schüttelte den Kopf und blickte verschämt nach unten.
    Â»Wusste nicht, dass man es rausnehmen kann.«
    Â»Aber wie haben Sie es denn gereinigt?«
    Â»Ich hab mir normal die Zähne geputzt.«
    Â»Damit kommen Sie doch nicht unter das Gebiss, oder täusche ich mich da?«
    Wieder schüttelte der Mann den Kopf. Er schämte sich und tat mir leid.
    Â»Das kriegen wir schon wieder hin«, sagte ich leise zu ihm.
    Â»Ja, natürlich«, bekräftigte Dr. A. meine Worte. »Klar, kein Problem, kriegen wir auf jeden Fall wieder hin.«
    Ich sah Dr. A. an, dass sie innerlich den Kopf schüttelte und sich fragte, wie so etwas nur passieren konnte. Dann ging sie zum Schrank und nahm einen Mundschutz heraus. Ich sah, wie sie den Mundschutz mit Desinfektionsmittel besprühte und wusste, dass sie das nur aus einem Grund tat: um lieber den beißenden, alles übertünchenden Geruch dieses Mittels in der Nase zu haben anstelle des üblen Mundgeruchs von Carsten G..
    Dr. A. zog sich Handschuhe über und bat den Patienten erneut, den Mund zu öffnen. Vorsichtig, aber mit sichtbaren Mühen, nahm sie das Gebiss heraus. Carsten G. gab einen kurzen Schmerzensschrei von sich, dann hatte die Ärztin die Prothese in der Hand. Sie war von Eiter verklebt.
    Â»Ihr ganzer Kiefer ist vereitert«, stellte sie mit einem Blick in seinen Mund fest. »Sieht so aus, als wenn schon der Knochen

Weitere Kostenlose Bücher