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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Tarneke
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Kinderarzt konnte absolut nichts Schlechtes bei ihm feststellen. Ein völlig gesunder Junge, altersgerecht entwickelt, ohne Anzeichen von irgendeiner Krankheit. Mit normalem Trinkverhalten und ohne eine Spur von Dehydrierung.
    Es war klar wie Kloßbrühe: Die Eltern missbrauchten uns als Babysitter! So viel Dreistigkeit hatte ich wirklich selten erlebt!
    Justin war kerngesund und schlief selig bei uns auf der Station, bis seine Eltern am nächsten Tag wieder bei uns auf der Matte standen, um ihn abzuholen.
    Und das Schlimmste an der Sache war, dass wir diese Rabeneltern noch nicht mal anständig zusammenfalten konnten.
    Â»Bei uns hat er den ganzen Tag nichts getrunken! Wie gut, dass Sie ihn wieder hingekriegt haben! Gott sei Dank!«, schwärmten sie und gaben sich dankbar für die moderne medizinische Versorgung.
    Natürlich war das von vorne bis hinten gelogen, das war uns allen klar. Aber das Risiko, dass sie nach einer ordentlichen Standpauke womöglich nicht noch einmal ein Krankenhaus betreten würden, selbst wenn dem kleinen Justin wirklich etwas fehlen sollte, war zu groß.
    Somit ließen wir sie laufen und konnten nur hoffen, dass der Kleine niemals von dem Tag erfahren würde, als seine Eltern ihn in die Notaufnahme brachten, um in Ruhe feiern zu können.
    ***
    Das Gegenteil von solchen Rabeneltern kam wenige Tage später zu uns. Dennis B. wurde von seiner Mutter und seinem Vater zu uns gebracht. Der 22-jährige Mann war geistig und körperlich schwer behindert und ohne seine Angehörigen komplett hilflos. Er saß im Rollstuhl und konnte nur seine Arme und seinen Oberkörper bewegen und kaum sprechen. Es war offensichtlich, dass er von der Hilfe anderer abhängig war.
    Ich konnte aber auf den ersten Blick erkennen, dass Dennis B. sehr viel Aufmerksamkeit zuteilwurde. Es war nicht zu übersehen, dass er eine hervorragende Pflege erhielt. Seine Haare waren frisch gewaschen und perfekt frisiert, seine Kleidung war makellos, und der Rest war ebenfalls sehr gepflegt.
    Besorgt strich seine Mutter ihm über den Kopf.
    Â»Er hat sich über irgendwas aufgeregt«, sagte sie betrübt. »Und da hat er so wild mit den Armen um sich geschlagen, dass er gegen die Wand gehauen hat. Schauen Sie sich mal seine Hand an!«
    Das tat ich. Und Frau B. hatte recht: Dennis’ Hand war eindeutig gebrochen. Ich ging vor ihm in die Hocke und sprach ihn direkt an.
    Â»Haben Sie starke Schmerzen?«, fragte ich ihn, und als der junge Mann den Mund aufmachte und ein stöhnendes »Ja« herauspresste, fiel ich fast in Ohnmacht.
    Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit im Krankenhaus schon eine Menge erlebt, aber noch nie war mir ein derartiger Gestank entgegengeschlagen. Die gesamte Zahnleiste des Mannes war pechschwarz, Zähne waren im Grunde nicht mehr zu erkennen. Es sah fast so aus, als hätte er eine schwarze Kunststoffleiste im Mund.
    Und die Wolke, die aus seinem Inneren kam, konnte man eigentlich nicht mehr als Mundgeruch bezeichnen. Es war ein unbeschreiblicher, abartiger Gestank von Fäulnis, und mir ging sofort durch den Kopf, dass das nicht nur ein ästhetisches Problem darstellte. Kranke Zähne können einen ganzen Körper krank machen.
    Seine Mutter bemerkte meine Reaktion auf diese Ausdünstung. Auch wenn ich mich bemüht hatte, normal zu reagieren, war ich wohl doch reflexhaft nach hinten gezuckt.
    Â»Wir haben alles versucht«, sagte sie entschuldigend, und ich sah ihr an, wie sehr sie das Thema mitnahm. »Er ist bei der Pflege sonst sehr kooperativ, aber Zähneputzen geht bei ihm gar nicht.«
    Â»Wir haben ihn schon festgehalten und alles«, meldete sich nun auch der Vater geknickt zu Wort. »Aber Zähneputzen ist für ihn einfach die Hölle, da wehrt er sich nach Leibeskräften.«
    Â»Deshalb konnten wir das leider nie machen«, sagte Frau B.
    Ich nickte verständnisvoll. Die Eltern taten mir leid. Ich konnte mir vorstellen, wie schwer es war, mit einer solchen Situation fertig zu werden.
    Â»Wir werden Ihren Sohn operieren müssen«, sagte ich zu ihnen, nachdem sich auch der Chirurg die Hand von Dennis angeschaut hatte. »Normalerweise bräuchte man bei einem solchen Bruch keine Vollnarkose, aber aufgrund der Behinderung Ihres Sohnes müssen wir das in diesem Fall machen. Ich schlage vor, dass wir einen Zahnarzt hinzuziehen, sobald Ihr Sohn in der Narkose ist. Dann kann er ihm die

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