Spritztour - Roman
Schnucki nennen und so. Aber wirklich so reden ist was anderes. Mit einem lebendigen Menschen.« Sie nahm noch einen Schluck Wasser. »Aber ich vermute, Lance kann das.«
»Wie ich auftrete, ist wahrscheinlich mein kleinstes Problem«, sagte Ian und schüttelte den Kopf.
»Was soll das heißen?«, fragte Felicia.
»Na ja, ihr habt ja die Bilder gesehen. Ich sehe überhaupt nicht so aus.«
Felicia und Lance schauten ihn ein paar Sekunden lang verständnislos an. Dann riss Lance Ian den Lacai aus den Händen.
»Nein, Ian. Das kann doch nicht wahr sein!«, sagte Felicia und nippte weiter am Wasser.
Oh. Dann haben sie die bearbeiteten Bilder gar nicht gesehen. Aber wie das? Scheiße. Verdammt, verdammt, verdammt …
Lance hackte auf die Tasten des Lacais und fing schon bald an zu lachen. Laut. Er schob das Display Felicia hin, die in Lances’ Milchnäpfchen-Pyramide prustete. Die kleinen weißen Teile flogen auf den Boden. Ian wusste sofort, welches Bild sie anguckten. Es war ein eher schmeichelhaftes Foto von ihm, aufgenommen im vergangenen Frühjahr bei einem Spiel der Cubs, aber dennoch nicht geeignet, um es unverändert an Internet-Bräute zu verteilen. Also hatte Ian es verbessert, bevor er es an Danielle geschickt hatte. Er hatte sich eine dunkle Bräune verpasst und seine langen, meist zerzausten Haare gezähmt, so dass sie kurz, extrem gestylt und seidig glänzend wirkten. Und er hatte sich ein kleines Bärtchen gegönnt.
»Alter!«, rief Lance laut genug, dass sowohl Elmo als auch die Kellnerin aufschreckten. »Du bist ja so was von verwichst. Wenn du nach Charleston kommst, wird Danielle denken, Ian Lafferty hat seinen kleinen Bruder geschickt, der’s mit ihr tun soll.« Er starrte Ian an. »Riesenfehler.«
»Ich hab gedacht, ihr hättet die Fotos schon gesehen. Vorhin, als ich schlief.«
»Nein, nein«, sagte Felicia. »Deine E-Mails waren schon unterhaltsam genug. So weit sind wir gar nicht gekommen.« Sie blickte ihn an. »Ein Bart, Ian? Du rasierst dich noch nicht mal. Und du warst noch nie braungebrannt. Noch nie. Du verbrennst bloß und wirst ganz rot. Siehst aus wie ein riesiges Radieschen. Und seit der vierten Klasse hast du keinen vernünftigen Haarschnitt mehr gehabt.«
»Na ja, deshalb konnte ich ihr doch kein unbearbeitetes Bild schicken. Und bedenkt bitte, ich hatte doch nie die Absicht, dieses Mädchen zu treffen.«
» Ian !«, sagte Felicia. »Du wirst sie treffen. Aber sie wird dich nicht erkennen.«
»Alter, du bist fertig«, sagte Lance. »Hoffnungslos. Ich meine, ich kann dir erklären, was du sagen sollst, und ich kann dir ein paar technische Ratschläge geben. Aber das …« Er schüttelte den Kopf und blickte auf das Display. »Da kann ich nichts machen. Du brauchst einen total neuen Look.«
»Das heißt: eine talentierte Friseurin«, fügte Felicia hinzu.
»Und wir sind am Arsch der Welt.« Lance hielt inne. »Da kannst du echt einpacken.«
Ein paar Sekunden lang saßen sie schweigend da. Ian erwog seine Zwangslage und glaubte langsam, dass seine Freunde recht hatten. Aber er wusste ebenso wenig wie Lance und Felicia, wie das Problem zu lösen war. Dann kam die Kellnerin auf ihren Tisch zu.
»’tschuldigung«, sagte die. »Habt ihr gesagt, ihr braucht eine Friseurin?«
19 Es stellte sich heraus, das Elmo nicht der einzige Unternehmer in der Familie war. Seine Schwester Lorraine war die Inhaberin eines Schönheitssalons, den sie in einem umgebauten Wohnwagenanhänger auf Elmos Farm betrieb.
»Die Damen kommen von meilenweit her, nur um sich von Lorraine die Haare richten zu lassen«, hatte die Kellnerin gesagt und mit der Hand leicht auf ihre steifen Locken geklopft.
»Oh, das ist aber schön«, erwiderte Ian.
Elmo telefonierte. Ja, seine Schwester würde den Salon öffnen. Ja, sie würde sehr gerne einen netten Jungen aus dem Norden zurechtmachen. »Sieht so aus, als hättet ihr Glück«, brummte Elmo.
Ian fühlte sich nicht besonders glücklich.
Er fuhr den sich schlängelnden Weg hinab, an den Lamas vorbei zum Wohnwagen-Salon. Bis zu dem Zeitpunkt war Ian der Meinung gewesen, dass er jedwede Mängel seiner äußeren Erscheinung durch sein Auftreten kompensieren und Danielle auf diese Weise imponieren könnte. Die virtuelle Person, die er geschaffen hatte, war in jedem Fall draufgängerisch und bestimmt genug, um die Sache durchziehen zu können. Aber Felicia schien die äußerliche Veränderung wichtig zu finden. »Du musst dem Mädchen bieten, was sie
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