Spür die Angst
beheizte Bürgersteige, immer schneefrei – durchgehend belebt. Nicht nachlassende Konsumhysterie. Drei unterschiedliche Schichten. Drei verschiedene Welten entlang ein und derselben Straße.
Mrado saß im Barbereich von Kickis Bar & Co, eines der schmuddeligeren Lokale im mittleren Straßenabschnitt, und wartete auf Ratko. Kneipe für Starkbier & Co: Ale, 4 , 9 %iges Bier, Cider.
Er war verdammt müde.
Starrte träge vor sich hin. Scharenweise zwanzigjährige Halbstarke in geklauten Daunenjacken von Canada Goose. Weigerten sich, ihre Jacken abzugeben – Symbole für eine Welt, zu der sie wahrscheinlich niemals Zutritt bekommen würden. Glotzten aus angemessener Entfernung. Sie wussten nicht, wer er war. Und begriffen dennoch – quatsch den Riesen an der Bar nicht blöd von der Seite an. Wenn die Garderobe im Lokal seine gewesen wäre, würden die Jacken dieser flaumbärtigen Türken schon längst auf Bügeln hängen.
An den Wänden waren Neonlettern angebracht. Sie bildeten das Wort: Kickis Drinks. Rote, blaue und gelbe Buchstaben im Wechsel.
Mrado und Ratko hatten sich hier auf ein Bier verabredet, bevor sie ins Casino Cosmopol weiter oben auf der Kungsgata ziehen wollten. Mrado brauchte sauberes Geld. Die Videotheken/Reinigungen liefen nicht so, wie sie sollten. Verkrafteten den benötigten Umsatz nicht. Das Kasino war immer eine Notlösung für Geldwäsche.
Es war fünf nach zehn. Ratko war normalerweise nie unpünktlich. Irgendwie war er in der letzten Zeit noch nörgeliger geworden. So weit durfte es eigentlich nicht kommen. Denn Mrado stand in der Jugohierarchie über Ratko. Dementsprechend würde er höchstens noch weitere zehn Minuten auf ihn warten.
Bestellte noch ein Bier. Dachte über die letzten Monate nach.
Die Situation mit Jorge hatte sich positiv entwickelt. Vier Monate waren vergangen, und der Latino hatte es seitdem ruhig angehen lassen. Den Ball flach gehalten. Keine weiteren Versuche unternommen, den Macker raushängen zu lassen. Mrado hatte Hinweise erhalten. Jorge war noch in der Stadt, offensichtlich immer noch in dunklem Look, um auf der Flucht überleben zu können. Schlug sich so durch mit dem Einzigen, was er konnte, nämlich für irgendeinen Dealer Koks zu verkaufen. Mrado pfiff drauf, an wen, solange er ihm nicht in die Quere kam.
Mrado hatte in der Zwischenzeit wie immer weitergemacht. Er vermisste Lovisa. Verdammte Annika. Am 23 . Februar war die Entscheidung des Amtsgerichts mitgeteilt worden: ein zwiespältiger Bescheid. Gut, dass das gemeinsame Sorgerecht weiterhin bestand. Und extrem beschissen, dass er nur jede zweite Woche für einen Tag das Besuchsrecht für Lovisa bekam. Das Land Schweden ließ die Serben mal wieder im Stich.
Mrado wachte jede Nacht zwischen vier und fünf Uhr auf und konnte nicht mehr schlafen. Wie ein altes Weib. Goss sich einen doppelten Whisky hinter die Binde, um wieder einschlafen zu können. Was zum Teufel war nur los?
Einmal ging er in Lovisas Zimmer, um zur Ruhe zu kommen. Setzte sich auf ihr Bett. Es knackte in den Fugen. Das Geräusch erinnerte ihn an etwas. Kam nicht drauf, was. Zog eine Schublade ihres Schreibtisches auf. Sah die Malkreide. Dann fiel ihm ein, woran ihn das Knacken erinnerte. Er fühlte sich matt. Von Angst erfüllt. Was sollte Lovisa nur von ihm denken, wenn sie irgendwann von all der Scheiße, die er angerichtet hatte, erfuhr? Konnte man ein guter Vater sein und gleichzeitig den Leuten die Finger brechen? Er musste damit aufhören.
Ansonsten war das Leben ganz normal weitergegangen. Die Branchen entwickelten sich. Die Kronen rollten nur so rein. Die letzten größeren Geschichten, die er in die Wege geleitet hatte, waren die Instandsetzung der Videotheken und die Beschäftigung mit der Frage, welchen Deal man mit den Bullenschweinen bezüglich ihres aktuellen Novaprojekts würde aushandeln können. Radovan hatte angesichts von Nova eine Besprechung einberufen. Alle Kollegen sollten gemeinsam darüber diskutieren, wie man die Anstrengungen der Bullen stoppen konnte. Mrado selbst, Goran, Nenad und Stefanovic.
Den Aufbau der Videothekbetriebe hatte er nach intensiver Suche nach einem Strohmann vorangetrieben. Mrado wollte keinen, der beim Finanzamt oder anderen neugierigen Behörden Aufsehen erregte. Hatte sich beim Einwohnermeldeamt erkundigt und vergewissert, dass der Mann, den sie im Auge hatten, Christer Lindberg, in Schweden gemeldet war. Ebenso bei der Zulassungsstelle, dass er keine etwaigen, unter der Hand
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