Spür die Angst
Falsterbo, Smådalarö, et cetera. Er wusste, dass es wichtig war, sich ausschließlich stilvolle Dinge zu leisten. Leg dir eine Rolexuhr zu, ein Paar Schuhe von Tod’s, kauf ein Jackett von Prada, einen Folder von Gucci aus Krokodilleder für die Aufzeichnungen in den Vorlesungen. Er freute sich schon jetzt auf den nächsten Schritt, nämlich sich ein BMW Cabriolet anzuschaffen. Der letzte seiner drei B-Wünsche, die er sich erfüllen würde. Business-Style, Bares, BMW .
JW hatte einen guten Ruf. Es funktionierte. Die
High Society
nahm ihn auf. Er gehörte dazu. Sie fanden ihn amüsant, anständig und großzügig. Aber er wusste, dass sie dennoch etwas ahnten. Irgendetwas fehlte in seiner Geschichte, sie kannten sein Elternhaus nicht, hatten ihn nie von der Schule reden hören, in die er gegangen war. Es kam vor, dass sie ihn fragten, ob er damals in den Sportferien wirklich in St. Moritz gewesen wäre. Denn keiner von denen, die dort waren, konnte sich an ihn erinnern. Und hatte er tatsächlich in Paris in der Nähe des Maraisviertels gewohnt? Denn sein Französisch war nicht gerade berauschend. JW fiel es schwer, einen Überblick über all seine Lügen zu behalten. Sie spürten offensichtlich, dass etwas nicht stimmte, wussten aber nicht, was. JW hingegen war sein Dilemma nur allzu bewusst, er musste seine Herkunft kaschieren, sich anpassen und durch und durch echt wirken. Um akzeptiert zu werden.
Und warum? Er fand selbst keine Antwort darauf. Nicht, dass er das Ganze nicht durchschaute – er wusste, dass er auf der Suche nach Bestätigung war, sich wie jemand Besonderes fühlen wollte. Aber er begriff nicht, warum er sich gerade diese Methode ausgesucht hatte – der einfachste Weg, sich selbst zu erniedrigen. Wenn sie ihn entlarven würden, könnte er geradewegs die Stadt verlassen. Manchmal dachte er, dass er es vielleicht genau aus diesem Grund tat, um in selbstzerstörerischer Manier herauszufinden, wie lange es ihm wohl gelingen würde. Um sich selbst zu zwingen, sich der Scham auszusetzen, entlarvt zu werden. Tief in seinem Inneren schiss er auf Stockholm. Er kam nicht von hier. Hatte nicht das Bedürfnis, irgendetwas Spezielles hier zu wollen, außer Aufmerksamkeit, Feierei, Bräute, das glamouröse Leben und Geld. Äußerlichkeiten. Es konnte im Prinzip auch jede andere Stadt sein. Aber gerade jetzt funktionierte es eben in der Hauptstadt.
JW besaß auch eine wahre Geschichte. Er kam aus Robertsfors, nördlich von Umeå, und war zu Beginn der siebten Klasse im Gymnasium nach Stockholm gezogen. Ohne seine Eltern hatte er den Zug in die Stadt genommen, lediglich mit zwei Reisetaschen und der Adresse von einer Cousine seines Vaters. Dort hatte er zwei Tage gewohnt, bis er sich bei Frau Reuterskiöld einmietete. Hatte sich in die Welt gestürzt, in der er sich nun befand. Sein Verhalten, seine Klamotten und seine Frisur geändert. War auf’s Östra Real Gymnasium gegangen und hatte sich mit den richtigen Leuten umgeben. Sein Vater und seine Mutter hatten sich anfänglich Sorgen gemacht, aber da er sich nun einmal so entschieden hatte, konnten sie nichts machen. Nach und nach beruhigten sie sich wieder – sie waren zufrieden, solange er zufrieden war.
JW dachte selten an seine Eltern. Über lange Phasen hinweg war es, als existierten sie nicht. Sein Vater war Vorarbeiter in einem Sägewerk, ungefähr so weit von JW s Lebensplänen entfernt, wie man nur sein konnte. Die Mutter arbeitete bei der Arbeitsvermittlung. Sie war enorm stolz darauf, dass er jetzt an der Uni studierte.
Woran er hingegen öfter dachte, war die ganz eigene Geschichte seiner Familie. Eine befremdliche, noch immer nicht aufgeklärte Tragödie. Ein Vorfall, von dem jeder in Robertsfors wusste, den jedoch keiner öffentlich erwähnte.
JW s Schwester Camilla war seit vier Jahren spurlos verschwunden, und keiner wusste, was passiert war. Es hatte Wochen gedauert, bis man überhaupt begriff, dass sie weg war. In ihrer Wohnung in Stockholm fanden sich keine Spuren. Auch in ihren Telefonaten mit den Eltern gab es keine Hinweise. Niemand wusste etwas. Möglicherweise war alles nur ein Missverständnis. Vielleicht hatte sie einfach die Nase voll und war ins Ausland gegangen. Vielleicht war sie inzwischen ein Filmsternchen in Bollywood und genoss das Leben. JW konnte die Stimmung nach diesem Ereignis nur schwer ertragen. Vater Bengt hatte sich dem Alkohol hingegeben, weidete sich in Selbstmitleid und verfiel in Schweigen. Mutter Margareta
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