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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Pläne für seine Flucht akribisch umgesetzt. Sein aktueller Plan: sich in der Freiheit über Wasser zu halten. Sich Cash zu besorgen. Das Land zu verlassen. Mit anderen Worten: Das Ganze war nicht besonders planbar.
     
    Santa
Sergio hatte die Leiter an der richtigen Stelle abgestellt. War davongerannt und hatte sich mit seinem Wagen aus dem Staub gemacht, bevor Jorge auch nur halbwegs den Kahlschlag passiert hatte. Hatte den Fluchtwagen perfekt positioniert.
    Ein Fluchtspezialist. Ein Latino mit Köpfchen.
    Jorge war mit hundertzehn Sachen den Waldweg entlanggerast. Wie auf einer Rallye in den Wäldern Värmlands. Die Aufseher kapierten gar nichts, sahen nicht mal, dass er in einen Wagen sprang. Glaubten, er sei immer noch zu Fuß unterwegs. Praktisch. Der Weg verzweigte sich dreimal, und als die Aufseher endlich begriffen, dass er in einem Auto verschwunden war, brauchten sie mindestens eine Stunde, um herauszufinden, welchen Weg er genommen hatte. Rauf auf die Autobahn. Vorbei an Åkersberga. Bei der nächsten Abfahrt wieder runter. Hinein in den Blaubeerwald. Dort hatte er Sergio wiedergetroffen. Den Wagen für J-Boy hatte Sergio drei Tage zuvor gestohlen. Sie ließen ihn zurück. Mit ’nem vollen Benzinkanister im Kofferraum. Zündeten ihn an. Warteten gar nicht erst, bis er in Flammen aufging.
    Mitten im Nichts hörten alle Spuren auf.
    Wenn die Cops überhaupt so weit kämen.
    Er war gegen halb drei Uhr nachts in die Wohnung gekommen. Bis dahin hatten sie im Auto gesessen und den gesamten Abend lang gewartet, bis sie sich sicher wähnten – sie wollten verhindern, dass irgendein Nachbar Jorge kommen sah. Genehmigten sich jeder eine Falafel und tranken Cola und Kaffee. Hörten Power Hit Radio. Quatschten. Hielten sich gegenseitig wach. Jorge kam langsam wieder von seinem Adrenalinkick runter.
    Die folgenden Tage: Jorge konnte erst mal in der leerstehenden Wohnung bleiben. Sie gehörte Sergios Tante. Die Alte befand sich seit sieben Wochen im Pflegeheim in Norrviken.
    Die Absprache: Jorge durfte höchstens zehn Tage dort wohnen. Jorge durfte den Fuß nicht vor die Tür setzen. Jorge musste sich so leise wie möglich verhalten. Danach konnte er tun und lassen, was er wollte, allerdings schuldete er Sergio für seine Dienste einige Flocken – großes Ehrenwort.
    Jorge dankbar. Sergio war ein Engel. Hatte bereits mehr als jeder andere für ihn getan. Sich aufgeopfert. Viel riskiert. Keine Gefahr gescheut. Wie es bei Familienmitgliedern üblich ist, auch wenn noch nie zuvor jemand so etwas für ihn getan hatte.
    Er hatte auf keinen Fall vor, länger als maximal eine Woche zu bleiben.
     
    Eingesperrt in eine Wohnung. Nicht gerade prickelnd – denn er war ja eigentlich frei. Und dann das, wieder hinter Schloss und Riegel. Der einzige Unterschied, sie hatte mehr Quadratmeter als die Zelle in Österåker. Er würde sich an sein neues Leben auf der Flucht erst gewöhnen müssen.
    Jorge ließ sich einen Bart wachsen. Schnitt sich eine neue Frisur. Färbte seine Haare schwarz.
    Bat Sergio, ihm Papilloten und Dauerwellenflüssigkeit zu besorgen: Thio Balance Permanent, fünfhundert Milliliter. Las die Gebrauchsanweisung durch. Beugte sich über den Badewannenrand. Spülte seine Haare mit der Handdusche aus. Wickelte die einzelnen Haarsträhnen sorgfältig um die lilafarbenen Rollen. Zum Glück sah ihn niemand. Er kam sich wie eine verdammte Schwuchtel vor.
    Probte eine neue Art zu gehen. Versuchte so gut es ging, seine Stimme zu verstellen.
    Jorge wusste: Die Leute erkennen dich instinktiv an deiner Art, dich zu bewegen, deinem Gang, deiner Sprechweise, der Art und Weise, wie du dir mit der Hand durchs Haar fährst und dabei lächelst. An deinen unbewussten Gesten und der dir eigenen Ausdrucksweise. Die einzige gute Tat von Rodriguez nach Jorges Auffassung: Der Typ hatte ihn und Paola gefilmt, als sie Kinder waren. Zwei völlig unterschiedliche Menschen: Junge und Mädchen, kräftig und grazil, kantig und weich. Und dennoch, ihre Bewegungsmuster waren nahezu identisch. Jorge konnte sich noch gut daran erinnern. Diese Identifikationscodes waren weitaus verhängnisvoller als das Aussehen.
    Er musste sie ändern. Jorge-Boy – schnell wie der Teufel.
    Die Wohnung engte ihn ein. Er wollte raus. Nahm den Spiegel im Flur von der Wand und lehnte ihn gegen die Wand im Wohnzimmer. Promenierte am ersten Tag von zehn Uhr morgens bis sieben Uhr abends auf und ab, das Haar wie bei Mutter Marge von den Simpsons, und übte neue

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