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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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dass er spätestens bis ein Uhr dort sein soll. Er hat sofort bei mir durchgeklingelt und gesagt, dass ich es dir ausrichten soll, dich aber auf keinen Fall anrufen soll.«
    »So ’n Mist. Ich hab es ihm gesagt. Keine Anrufe. Sie könnten sie abhören und, was weiß ich, noch alles machen. Und du bist nicht verfolgt worden?«
    Eddie: nicht gerade der schlaueste Latino unter der Sonne. Hatte allerdings schon so einiges mitgemacht. Wusste, dass er sich vorsehen musste.
    Jorge zog sich an. Außer dem Trainingsanzug hatte er noch eine Jacke von Sergio bekommen. Es gab nicht viel zu packen: eine Tube mit Bräunungscreme von Piz Buin, die Papilloten, eine Zahnbürste, zwei Unterhosen und ein Paar Strümpfe zum Wechseln. Alles von Sergio plus fünftausend Kröten, die er ihm ebenfalls geliehen hatte.
    Er stopfte die Sachen in eine ICA -Tüte. Küsste Eddie auf die Wangen. Winkte den schreienden Kindern zum Abschied zu. Bedankte sich bei dem ältesten Steppke für das Zimmer. Hoffte, dass Eddie seiner Frau nicht erzählt hatte, wie er hieß und wer er war.
    Er war seit zehn Tagen auf der Flucht. Würde das Ganze etwa jetzt schon den Bach runtergehen?
    Schrieb Sergio einen Zettel auf Spanisch. Verschlüsselt, wie abgemacht. Drückte ihn Eddie in die Hand.
    Ging durch die Wohnung hinaus ins Treppenhaus. Meinte, draußen eine Sirene zu hören.
    Öffnete die Haustür.
    Schaute um die Ecke. Kein Auto auf der Straße zu sehen. Keine Menschen. Alles ruhig. Ein paranoider Latino auf der Flucht.
    Was zum Teufel sollte er jetzt nur machen?
     
    Die Luft wurde kälter. Neunter September. Jorge lungerte den ganzen Tag in der Stadt herum. City: Drottninggata, Gamla Brogata. Hötorget, Kungsgata, Stureplan. Aß bei McDonald’s. Sah sich in Geschäften um. Hielt nach Bräuten Ausschau.
    Konnte es nicht genießen. Stand unter Stress. Fixe Idee oder Sicherheitsbewusstsein, egal, er sah sich um, als sei jeder Typ ein Zivilfahnder der Polizei.
    Der desillusionierte Jorge:
El Jorgelito
– ein verängstigtes kleines Stück Scheiße. Er wollte seine Schwester anrufen. Wollte mit seiner Mama sprechen. Wollte fast wieder zurück in die Anstalt.
    So ging es nicht, er musste sich zusammenreißen. Aufhören, die ganze Zeit an seine Mutter und seine Schwester zu denken. Was zum Teufel war nur mit ihm los? Die Familie ging über alles, klar, das war normal. Aber wenn man keine richtige Familie mehr hatte und gezwungen war, allein zurechtzukommen, galten andere Gesetze. Er konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge.
    Er hatte keine Bleibe und auch keine Freunde/Kumpels, auf die er im Moment zählen konnte.
    Fünf Riesen in der Tasche. Damit konnte er einen alten Kokskumpel entlohnen, der ihn ein paar Nächte bei sich schlafen ließ. Aber das Risiko war zu groß, sie sangen für das kleinste Almosen.
    Er konnte in eine Jugendherberge gehen. Wahrscheinlich zu teuer. Außerdem wollten sie bestimmt den Ausweis sehen.
    Er konnte seine Mutter oder Schwester anrufen – aber die beiden wurden sicher von den Bullen beschattet, und außerdem wollte er sie nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.
    Verdammt.
    Während der Tage auf dem Bett im Kinderzimmer war ihm eine Idee gekommen – nämlich sich an die Nachtherberge für Obdachlose zu wenden. Das würde fürs Erste zwar sein Übernachtungsproblem lösen, aber nicht das mit der Knete. Es gab da noch eine andere, bessere Idee. Gefährlichere. Dreistere. Er versuchte sie zu verdrängen, da sie mit Radovan zu tun hatte.
    Jorge fragte ein paar Fixer auf Plattan, der B-Ebene von Sergels torg, wo es eine nahe gelegene Übernachtungsmöglichkeit gäbe. Sie nannten ihm zwei Orte: die Nachteule der Stadtmission bei Slussen und KarismaCare am Fridhemsplan.
    Er ging hinunter zur U-Bahn-Station Hötorget. Es war acht Uhr abends. Die Sperren zu den Bahnsteigen sahen inzwischen anders aus als damals, bevor er reingewandert war. Schwerer zu überwinden. Hohe Plexiglasscheiben, die zur Seite glitten, wenn man sein Ticket durch einen Schlitz an der Vorderseite der Sperre zog. Er wollte nicht unnötig Geld ausgeben. Wollte auch nicht bis Slussen laufen müssen. Schätzte das Risiko ab. Die Scheiben waren zu hoch, um drüberzuspringen. Er beobachtete den Fahrkartenkontrolleur, der in seiner Kabine Zeitung las. Auf seinen Job zu pfeifen schien. Er schaute sich nach Leuten um. Nicht viele zu sehen. Er drehte ein paar Runden. Schlenderte umher. Schaute sich um. Schließlich: Eine Gang Jugendlicher näherte sich. Er mischte sich

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