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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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stand. Nach fünfzehn Sekunden wandte er sein Gesicht ab. Holte die Hilfskraft. Ein junges Mädchen – höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Mrado hatte eine ältere Frau erwartet. Sie fragte ihn, worum es ginge. Er leierte seine Lüge runter. Sagte, dass er einem Mädel Bücher abkaufen wollte, sie aber nicht aufgetaucht sei. Wollte wissen, ob die Hilfskraft ihre Telefonnummer hätte oder wüsste, wo sie heute Vorlesung hatte. Sie fragte ihn, warum er es so eilig hätte. Mrado gab eine weitere Lüge zum Besten, erklärte, dass er wegfahren und die Bücher deswegen noch heute brauchen würde. Es war ziemlich eilig. Die junge Assistentin: gutgläubig und naiv. Sie fuhren nach oben und gingen in ihr Büro. Sie suchte Paolas Telefonnummer heraus sowie den Seminarplan des C-Kurses – drittes Semester. Teilte Mrado mit, dass er Glück gehabt hätte. »Paola hat gerade ein Seminar in Raum D 327 .« Endlich mal ’n Treffer.
    Wie sie sich von einem zwei Meter großen Jugoslawen hatte reinlegen lassen können, überstieg seinen Verstand.
    In Richtung Raum D 327 . Er folgte abermals den Pfeilen. Fand den Raum. Dasselbe Spielchen wie mit der Hilfskraft. Ein Typ öffnete. Mrado bat ihn, Paola zu holen.
    Mrado schloss die Tür zum Seminarraum hinter ihr. Paola begriff sofort, dass etwas faul war. Warf den Kopf in den Nacken. Machte einen Schritt zurück, wandte ihr Gesicht ab. Mrado hatte kurz ihre Augen sehen können. Wenn Unbehagen ein Gesicht hatte, dann war es ihres.
    So hatte er sich eine Literaturwissenschaftlerin nicht gerade vorgestellt. Sie trug eine hellblaue Bluse mit breitem Kragen. Dunkle enganliegende Bluejeans. Properer Stil. Schwarze Haare, hochgesteckt. Sie glänzten. Unschuldige Ausstrahlung. Irgendetwas an ihr turnte ihn an.
    Er wies in Richtung Toilette. Sie gingen dorthin. Paola mit steifen Bewegungen. Mrado konzentriert. Sie betraten den Toilettenraum. Mrado schloss die Tür.
    Die Wände waren vollgeschmiert. Hauptsächlich mit Bleistift und Kugelschreiber. Mrado erstaunt. Er hätte nicht gedacht, dass Universitätsstudenten so etwas tun würden.
    Er bedeutete Paola, sich auf eine Toilette zu setzen. Ihr Gesicht bekam rote Flecken.
    »Beruhig dich. Ich will dir nichts tun, aber es ist auch keine gute Idee zu schreien. Bei Frauen wende ich nicht gerne Gewalt an, so einer bin ich nicht. Ich möchte nur ein paar Sachen wissen.«
    Paola sprach perfekt Schwedisch. Keine Spur von Akzent. »Es geht um Jorge, oder? Geht es um Jorge?« Den Tränen nahe.
    »
You got it, babe.
Es geht um dein Brüderchen. Weißt du, wo er ist?«
    »Nein. Ich hab keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Er hat nichts von sich hören lassen. Auch nicht bei Mama. Wir haben nur in der Zeitung von ihm gelesen.«
    »Denk nach. Ich kann mir gut vorstellen, dass er dich mag. Natürlich hat er von sich hören lassen. Wo ist er?«
    Sie schniefte. »Ich weiß es nicht, hab ich gesagt. Ich weiß es wirklich nicht. Er hat noch nicht mal angerufen.«
    Mrado setzte sie unter Druck. »Lüg nicht. Du scheinst ein tüchtiges Mädchen zu sein. Ich könnte dir das Leben zur Hölle machen. Aber ich könnte deinem Bruder auch helfen. Sag mir nur, wo er ist.«
    Sie verleugnete ihn weiter.
    »Liebes Mädchen, hör mir gut zu. Spiel mir ja nicht einen auf stur. Diese Toilette hier sieht zum Kotzen aus, findest du nicht auch? Die Wände sind total vollgeschmiert. Du willst diesen Saustall hier möglichst schnell wieder verlassen. Du willst raus zu deinem geliebten Kurs. Willst es im Leben zu etwas bringen. Dein Bruder könnte es auch zu etwas bringen.«
    Sie starrte ihm mit großen, glänzenden Pupillen geradewegs in die Augen. Er konnte sein Spiegelbild in ihnen sehen. Sie hatte aufgehört zu weinen. Ihr Mascara hinterließ schwarze Streifen entlang ihrer Wangen.
    »Ich weiß es wirklich nicht.«
    Mrado analysierte sie. Es gibt Menschen, die können gut lügen. Andere täuschen. Wen auch immer an der Nase herumführen. Polizisten, Staatsanwälten und Rechtsanwälten in einem Verhör nach dem anderen standhalten. Sogar gegenüber Typen wie Mrado bestehen. Vielleicht glauben sie an sich selbst. Vielleicht haben sie auch nur ein extrem ausgeprägtes schauspielerisches Talent. Bei anderen hingegen, die versuchen zu lügen, merkt man es sofort. Die Augen wandern nach links oben, ein klares Zeichen dafür, dass sie etwas erfinden. Sie werden rot. Beginnen zu schwitzen. Widersprechen sich selbst. Lassen Details weg. Oder andersherum, versuchen, betont gelassen zu wirken.

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