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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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bedankte sich höflich. Wollte sich aus irgendeinem Grund einen guten Draht zu der Frau sichern. Er spürte innerlich, dass das nötig werden könnte.
    Er lief die Treppe hinauf. Fand den richtigen Korridor.
    Klassenraum vier zwei zwei. Die Tür war geschlossen, es waren noch fünf Minuten bis zur Mittagspause.
    Er wartete draußen. Hielt sein Ohr an die Tür, hörte eine monotone Stimme, konnte aber nicht ausmachen, ob es die von Jan Brunéus war.
    JW schaute sich den Korridor genauer an. Hässliche Wände, breite Fenster, weiße, einfache Porzellanlampenschirme an der Decke, Graffiti auf den Heizkörpern. Klassische Schulatmosphäre. In dieser Einrichtung hatte er allerdings eine andere Atmosphäre erwartet. Mehr Reife.
    Die Tür zum Klassenraum wurde geöffnet.
    Ein schwarzer Typ in sackförmigem Oberteil und Jeans, deren Bund fast bis zu den Knien herunterhing, kam heraus. Ungefähr zwanzig Schüler strömten nach ihm an JW vorbei.
    JW schaute in den Klassenraum. Einige Mädchen standen an ihren Tischen und packten Stifte und Block ein.
    An einem Whiteboard wischte ein Lehrer den Text ab. Er sah JW nicht.
    Das musste Jan Brunéus sein.
    Der Lehrer trug einen braunen Manchesteranzug mit Lederbesatz an den Ellenbogen. Unter dem Jackett trug er einen grünen Wollpulli mit V-Ausschnitt. Sein Dreitagebart erschwerte es etwas, sein Alter zu schätzen, aber vermutlich war er um die vierzig. Seine Brille hatte eine dünne Fassung, möglicherweise von der Marke Silhouette. JW fand, dass er attraktiv aussah.
    Er ging auf ihn zu.
    Der Mann wandte sich um, schaute JW an.
    JW fragte sich: Ob ihm wohl meine Ähnlichkeit mit Camilla auffällt?
    Jan fragte: »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich heiße Johan Westlund. Wir haben vor einigen Tagen miteinander telefoniert, wie Sie sich vielleicht erinnern. Ich wollte mit Ihnen über meine Schwester sprechen, Camilla Westlund, wenn das möglich ist.«
    Brunéus setzte sich auf das Pult. Sagte nichts. Seufzte nur.
    Wollte er vertraulich wirken?
    Die restlichen Mädchen im Klassenraum gingen hinaus.
    Jan stand auf und schloss die Tür hinter ihnen. Setzte sich wieder aufs Pult.
    JW stand einfach nur da. Ohne Kommentar.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung für mein Verhalten. Ich war ziemlich aufgewühlt, denn ihr Verschwinden ist wirklich sehr tragisch. Es war nicht meine Absicht, mitten im Gespräch den Hörer aufzuknallen.«
    JW hörte zu, ohne etwas zu entgegnen.
    »Ich kann mich sehr gut an Camilla erinnern. Sie war eine meiner Lieblingsschülerinnen. Sie war fleißig und interessiert. Hatte eine hohe Präsenz. Ich hab ihr in allen Fächern eine Eins gegeben.«
    JW dachte: Lehrer kümmern sich doch tatsächlich um Unwesentliches. Dinge wie Präsenz.
    »Welche Fächer hatte sie denn bei Ihnen?«
    »Schwedisch, Englisch und, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, Sozialkunde. In meinem Unterricht ziehen so um die zweihundert Gesichter im Jahr an mir vorbei, aber an Camilla erinnere ich mich noch genau. Sie beide sehen sich übrigens sehr ähnlich.«
    »Das sagen viele. Erzählen Sie mir doch ein wenig mehr darüber, was Sie über sie wissen. Ich habe erfahren, dass sie öfter mit einem Mädchen namens Susanne Pettersson zusammen war. Hatte sie noch mehr Freunde hier?«
    »Wer ist nur Susanne Pettersson gewesen? An sie kann ich mich nicht erinnern. Aber ich glaube nicht, dass Camilla so viele Freunde hatte, was schon erstaunlich war. Denn sie war eigentlich ziemlich kontaktfreudig und nett, wie ich fand. Und sah gut aus.«
    Irgendetwas stimmte nicht. Susanne Pettersson hatte behauptet, dass sie und Camilla öfter geschwänzt hätten. Und jetzt behauptete Jan Brunéus, dass Camilla eine hohe Präsenz gehabt hätte. Und, dass sie gut aussah. Äußerten sich Lehrer so über ihre Schüler?
    Sie unterhielten sich noch weitere zwei Minuten. Jan redete über allgemeine Dinge. »Das Komvux ist eine wichtige gesellschaftliche Einrichtung. Nicht alle sind fürs Gymnasium geschaffen. Hier erhalten sie eine zweite Chance.«
    JW wollte raus aus dem Klassenraum. Weg von Jan Brunéus.
    Jan schüttelte seine Hand. »Die ganze Geschichte tut mir furchtbar leid. Richten Sie das bitte Ihren Eltern aus. Und sagen Sie ihnen, dass Camilla ein großes Potential besaß.«
    Jan nahm eine verschlissene Ledermappe vom Boden auf und verschwand nach draußen in Richtung Korridor.
    JW ging zurück zum Sekretariat. Studierte die Öffnungszeiten. Für heute war das Büro geschlossen. War das nicht wieder

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