Spur der Flammen. Roman
Babylon
gefunden, standen dafür aber vor einem viel größeren Rätsel: Was war das für ein Ort, und warum war diese Frau hier begraben worden?
Sie traten ins Freie, um frische Luft zu atmen. In dem Raum war es beklemmend stickig und eng geworden.
Ian zündete sich die unvermeidliche Zigarette an. »Dann ist sie also die Frau des Astronomen, der in Baskows Fragment erwähnt wird?«
Candice schüttelte den Kopf. »Wir haben es offenbar mit zwei Astronomen zu tun, die zeitlich über tausend Jahre getrennt lebten. Professor Masters glaubte, in der Keilschrift einen Bezug zu dem ägyptischen Höfling Nacht zu finden. Nacht war zwar Astronom, nur was für eine Verbindung es zu einer Frau gegeben haben soll, die tausend Jahre später gelebt hat, ist mir ein Rätsel.«
Ian trat seine halb angerauchte Zigarette aus, und sie kehrten in das Haus zurück. Candice machte Aufnahmen, wobei sie ein Lineal als Maßstab neben alle Gegenstände legte und sich bemühte, nichts anzurühren.
»Was mich interessieren würde, ist Folgendes«, sagte Ian, während er eine zerbrochene Lampe untersuchte. »Warum wurde diese Frau in einem Haus bestattet? Warum nicht in einem Grab?«
Candice war immer noch mit ihren Aufnahmen beschäftigt. »Vielleicht ist sie an etwas Ansteckendem gestorben, und keiner wollte den Leichnam anfassen. Also hat man einfach das Haus zugemauert.« Sie schaute zu Glenn hinüber, der mit gefurchter Stirn in der Hocke saß. »Was ist?«, fragte Candice. »Haben Sie etwas entdeckt?«
Er zeigte auf die rechte Hand des Skeletts, die einen Eisennagel umklammert hielt. »Ich glaube, wenn Sie die Spitze dieses Nagels mit dem Gekritzel an der Wand vergleichen, werden Sie feststellen, dass damit die Worte eingeritzt wurden.«
Candice ging neben ihm ebenfalls in die Hocke. Verblüfft schaute sie auf den Nagel zwischen den Fingern des Skeletts. »Die Tatsache, dass sie ihn immer noch festhält, beweist, dass sie diese Worte eingeritzt hat, bevor sie starb. Womöglich wusste sie, dass sie nicht in einem normalen Grab beigesetzt würde. Womöglich waren andere auch auf diese Weise gestorben und dann eingemauert worden. Sie wollte nicht in Vergessenheit geraten.«
Glenn verfolgte jedoch eine andere Theorie. Er trat an das zugemauerte Fenster und ließ den Lichtkegel der Taschenlampe über das Mauerwerk wandern. Dann hob er eine zerbrochene Schale auf und besah sie von allen Seiten. »Diese Schalen und Krüge haben keinen Symbolcharakter, weil sie einst Wein und Getreide enthalten haben. Es sind angetrocknete Reste vorhanden, das bedeutet, dass jemand den Wein getrunken und das Getreide gegessen hat«, meinte er schließlich.
»Die Männer, die sie hier begraben haben«, warf Ian ein. »Das kam häufiger vor. Die für die Verstorbenen bestimmte Nahrung wurde von den Totengräbern verspeist.«
»Und wozu die Lampen?«
»Symbolisch, wie ich schon sagte.«
»Sieht aus, als hätten sie gebrannt. Und zwar lange Zeit.«
»Was ist daran so ungewöhnlich?«, wollte Candice wissen. »Wir haben doch festgestellt, dass dies eine Wohnstätte war, bevor sie in ein Grab verwandelt wurde. Esther hat diese Gegenstände vor ihrem Tod benutzt.«
Glenn wandte sich erneut dem zugemauerten Fenster zu und hielt die Taschenlampe auf eine Stelle, die ihnen vorher entgangen war: Ruß auf den Ziegeln. »Das Fenster diente als Rauchabzug, wie ihr an den schwarzen Spuren über der Kochstelle sehen könnt. Seht ihr den Ruß an den Wänden?«
»Wollen Sie damit sagen, dass Esther noch am Leben war, als dieses Haus zugemauert wurde?«
»Lebendig begraben?«, fragte sich Ian. »Ein bisschen melodramatisch, finde ich.«
Candice betrachtete die Töpfe und Krüge, die auf einmal eine ganz neue, erschreckende Bedeutung bekamen. »Esther wurde lebendig mit Nahrung begraben?« Sie konnte es nicht fassen. »Aber warum sollte man jemanden lebendig begraben und noch mit Essen und Trinken versorgen?«
Glenn furchte die Stirn. »Vielleicht eine Art Strafe.«
»Oder ein Opfer«, murmelte Candice. Sie hockte sich nieder und ging behutsam mit einer Kamelhaarbürste ans Werk. Stück für Stück legte sie diverse Gegenstände, Pinsel, Federn und Tintenfässer frei. »Wurde sie hier etwa eingemauert, um etwas zu schreiben?«, überlegte sie laut.
»Das ergibt doch keinen Sinn«, widersprach Ian. »Wenn jemand sie zum Schreiben zwingen wollte, wozu dann einmauern? Wie sollte man dann an die Tontafeln kommen?«
»Vielleicht ist sie auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher