Spur der Flammen. Roman
Bomben die Detonationsfrequenz erläuterte, weilten Philos Gedanken in anderen Sphären.
Jessica hatte also die Festung in den Pyrenäen entdeckt. Das verwunderte ihn nicht im Geringsten. Ihr wachsendes Interesse an seinem Privatleben und an seinen Käufen war ihm nicht verborgen geblieben, dennoch wusste sie so gut wie gar nichts über ihn, auch wenn sie sich schon länger kannten. Ohne Zweifel würde sie den Brief Raymonds von Toulouse lesen, Vergleiche zu anderen für ihn getätigten Käufen anstellen, womöglich seine Strategie mit anderen Branchenkollegen diskutieren und eins und eins zusammenzählen. Insbesondere jetzt, da in dem Brief ein gewisser Ring erwähnt wurde, den Jessica bereits an Philos Hand gesehen hatte.
Natürlich war sie in ihn verliebt. Frauen pflegten sich unweigerlich in Philo zu verlieben. Sie konnten seinem Charisma, seiner männlichen Ausstrahlung einfach nicht widerstehen. Wie die arme Mildred Stillwater. Aber keine würde ihn bekommen, selbst jetzt nicht, wo Sandrine tot war, denn er sparte sich auf für Lenore.
Wie aber sollte er jetzt mit Jessica verfahren?
Die logische Antwort wäre, sie zu vernichten, schließlich hatte er sie auch erschaffen. Aber war das unbedingt nötig? Sie hatte ihm gute Dienste erwiesen und würde das auch weiterhin bis zum bitteren Ende tun. Nur, dass weder sie noch irgendjemand wusste, dass das Ende unmittelbar bevorstand.
Der Bombenexperte wies auf eine Stelle der Blaupause hin, auf die Sprengvorrichtung, wie er sagte, und Philos Gedanken schweiften zu jenem Tag vor siebzehn Jahren zurück, an dem Jessica Randolph geboren wurde. Der innere Aufbau und die Funktionsweise der Bomben interessierten ihn nicht sonderlich, er brauchte nur zu wissen, wie man sie zündete.
Er war nicht zum Essen in das Restaurant gekommen. An diesem Ort hatte er drei Jahre zuvor Lenore zum letzten Mal getroffen, als sie den Eintritt ihres Sohnes in den Orden plante. Jener Tag hatte sich so messerscharf in sein Gedächtnis eingegraben, dass er ihn jedes Mal neu durchlebte, sobald er daran dachte: Lenore so fahrig und nervös, auf den oberflächlichen Betrachter mochte sie vielleicht verängstigt wirken, aber Philo wusste, dass sie in Wahrheit seine Ausstrahlung fürchtete. Am Tag danach hatte man sie ihm genommen, und er war durch die Welt gezogen und dann zurückgekehrt, um eine gläserne Kapelle als Gedenkstätte für sie zu errichten.
Die Kapelle befand sich noch in Bau, als Philo zum Gedenken an den Jahrestag ihres letzten bittersüßen Treffens an ›ihrem‹ Tisch saß und daran zurückdachte, wie er Lenore bewundert hatte, dass sie so tapfer mit einem ungeliebten Mann zusammenlebte, und dass sie dieses Opfer brachte, damit er, Philo, sein heiliges Werk vollenden konnte. An jenem Jahrestag vor siebzehn Jahren hatte er vor vollen Tellern gesessen, jedoch nichts von alledem angerührt, und dabei ungewollt ein Gespräch vom Nachbartisch mit angehört.
Aus der Art, wie die beiden miteinander sprachen, schloss Philo, dass sie sich fremd waren. Ein blind Date? Callgirl und Kunde? Sie sah teuer aus. Wenn man ihr zuhörte, schien sie Kunstverstand zu besitzen – beinahe. Schien kultiviert zu sein – beinahe. Gebildet – beinahe. Der englische Akzent wirkte aufgesetzt. Sie brauchte Schliff. Sie verwechselte einen Cézanne mit einem Degas, aber ihr Begleiter schien es nicht zu merken.
Philo versuchte sich wieder auf seine Erinnerungen zu konzentrieren – Lenore hatte an jenem Tag Hummercremesuppe gegessen –, doch die Frau am Nebentisch lenkte ihn ab. Sie hatte etwas. Die Art, wie sie den Kopf neigte oder wie sie die Hand bewegte. Ein Naturtalent. Die unentdeckte Perle in einer Auster. Das Paar stand schließlich auf und ging, und Philo gab sich erneut seinen stillen Betrachtungen hin.
Zehn Minuten später kam die Frau zurück, aufgelöst und aufgeregt, weil sie einen Ring verloren hatte. Der Manager, die Kellner, die Gäste wurden befragt, keiner hatte den Ring gesehen. Sie nannte einen großzügigen Finderlohn und hinterließ eine Hoteladresse, unter der man sie finden würde. Dann war sie gegangen.
Philo betrat die Männertoilette und war kein bisschen überrascht, als ihm ein anderer Mann folgte und auf ihn einredete, er habe diesen teuren Ring gerade vor der Damentoilette gefunden. »Ich bin in Eile«, bekundete der Fremde. »Wenn Sie mir, sagen wir, fünfhundert Dollar für den Ring geben, können Sie ihn haben und den Finderlohn einstreichen.«
Als Philo
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