Spur der Flammen. Roman
gepflegte Hand. »Egal, ich weiß sowieso, warum.«
»Ach ja?«
Sie trat an das Buffet und nahm sich eine Hand voll Trauben. »Das Papsttum gründet sich auf die Tatsache, dass der auferstandene Jesus Petrus als Erstem erschienen ist, und ihm aufgetragen hat, das Evangelium in die Welt hinauszutragen. Das Dokument im Schloss jedoch, ein Fragment des Evangeliums, das vor allen anderen Evangelien entstanden ist, besagt, dass er sich zuerst Maria Magdalena offenbart habe. Der Mann im Grab war nicht etwa ein Gärtner oder ein Engel, wie spätere Fassungen behaupten, sondern Jesus selbst. Kannst du dir vorstellen, wie du in den Vatikan marschierst und dem Papst erklärst, er möge seinen Stuhl räumen, weil er in Wahrheit der Schwesternschaft Maria Magdalenas zusteht, und das schon seit zweitausend Jahren? Wie könnte wohl der weibliche Papsttitel lauten. Päpstin?«
Philo registrierte Jessicas arrogantes Gebaren und ihr selbstzufriedenes Lächeln, mit dem sie sich eine Traube nach der anderen in den Mund steckte. »Ich nehme an, du willst auf etwas Bestimmtes hinaus?«, fragte er mit sanfter Stimme.
»Das Markusevangelium, all diese antiken Bücher und religiösen Schriften, die ich und andere für dich in den vergangenen Jahren erwerben mussten. Ich weiß jetzt, was du vorhast.«
»Und das wäre?«
»Religiöse Erpressung«.
Er war beeindruckt. »Zu welchem Zweck?«
»Um die Weltherrschaft zu erlangen. Herrsche über die Weltreligionen und du beherrschst die Welt«, sagte sie.
»Und zu diesem Schluss bist du aufgrund eines einzigen Fragments gekommen?«
Wieder verschwand eine Weinbeere zwischen Jessicas roten Lippen, und wieder blitzten weiße Zähne auf. »Wenn die Öffentlichkeit von diesem Fragment erfährt, werden Katholiken überall auf der Welt merken, dass sie seit zweitausend Jahren hinters Licht geführt worden sind. Und wenn sie erst einmal diesen Punkt in Frage stellen, was ist dann mit dem übrigen katholischen Dogma? Ich möchte wetten, Philo, dass irgendwo in deinem Schloss oder in deiner Privatsammlung noch ein Brief oder ein Schriftstück liegt, das den Koran verändern oder beweisen könnte, dass Buddha nie gelebt hat oder dass Krishna ein Mythos ist. Zweifle die Weltreligionen an, und Chaos und Anarchie werden die Folge sein. Die Führer etablierter Religionen würden alles darum geben, dieses Wissen unter Verschluss zu halten.«
Sie warf die restlichen Trauben auf das Buffet. »Waffen, Philo. All diese Fragmente, diese Schriftstücke und dieses Gedankengut sind Waffen – ein ganzes Arsenal«.
»Waffen …«.
»Und die heimtückischsten, die man sich vorstellen kann. Denk doch nur an die schlimmste Form der Kriegführung – biochemische und Nuklearwaffen, Terrorismus – aber selbst da hilft der Glaube den Menschen weiter. Nimmt man ihnen jedoch den Glauben …«
»Brillant, meine Liebe.«
Ein zufriedenes Lächeln spielte um Jessicas Lippen. Das lief ja besser als erwartet. Philo würde auf ihre Forderungen eingehen müssen. Die Weltherrschaft. Eine Vorstellung, an die man sich gewöhnen konnte.
»Eine höchst interessante Schlussfolgerung«, bemerkte Philo.
»Leider ist sie falsch. Ja, wir sind ein Geheimorden und wir nennen uns die Alexandrier. Aber lass mich von den wahren Zielen der Alexandrier erzählen.« Und das tat er. Nachdem sie alles über Alexander den Großen und den geheimen Priesterorden, den Brand in der Bibliothek, die schon seit zweitausend Jahren währende mühevolle Arbeit des Hütens und Bewahrens wertvoller Schriften und Bücher erfahren hatte, war Jessica vollkommen verwirrt. »Und all das nur, um die größte Bibliothek der Welt zu schaffen?«
»Das ist erst der Anfang. Hast du dich eigentlich nie gefragt, meine Teuerste, warum ich gerade dich angeworben habe? Die Alexandrier sind Sammler. Aber sie gehen nicht schnell genug vor. Ich musste das Tempo beschleunigen, ohne dass sie es merkten. Zudem ging es auch um einige Erwerbungen, die die Alexandrier nicht gebilligt hätten, die ich aber für meine Zwecke unbedingt brauchte.«
Jessica zog eine Braue hoch. »Deine Zwecke?«
Er gestand ihr Dinge, die vor ihr noch niemand erfahren hatte, nicht einmal seine selige Ehefrau Sandrine.
Und während er mit sanfter Stimme und seinem weichen Südstaatenakzent auf sie einredete und einen Plan entwickelte, von dem Jessica nicht zu träumen gewagt hätte, wurde sie von eiskalter Furcht ergriffen. Er meinte es ernst, todernst mit der Zerstörung, die er plante.
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