Spur der Flammen. Roman
Mitarbeitern hatte Britta, nach Monaten der Dunkelhaft und kurz vor dem Verhungern, als Einzige überlebt.
Sammy hatte ihr Kraft gegeben. Ein sanftmütiger Vogel, der bewundernde Pfiffe ausstieß, wenn sie sich anschickte zu duschen, der mittags mit ihr Schwarzbrot und Würstchen teilte, sich gern am Kopf kraulen ließ und die Wohnung mit drolligen Geräuschen erfüllte. Er war ihr treuer Kamerad und ihr Liebstes in ihrem Kampf für die Menschenrechte. Als Mitglied von Amnesty International schrieb Britta Bittbriefe und Gesuche, hielt Vorträge, organisierte Protestmärsche und engagierte sich, wo immer es ihr möglich war, gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Sammy war ihr Lichtblick in dieser Düsternis.
Der Rollstuhl war motorisiert. Ein Luxus, aber notwendig – die Rebellen hatten ihr beide Beine gebrochen, und die waren nie richtig verheilt. Als sie nun, Sammy auf der Schulter, zu seinem Käfig rollte, versprach sie ihm ein Extrahäppchen, wenn er nur brav sei und sein Mittagsschläfchen hielte. Sammy antwortete mit einem leisen Krächzen, knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen und ließ sich bereitwillig auf seine Sitzstange setzen. Dann hob er keck den Kopf, stellte seine wunderbare weiße Haube auf und schien abzuwägen, welchem Snack er den Vorzug geben sollte, dem Kalkschulp oder dem hart gekochten Ei. Britta vermeinte zu hören, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Aber das konnte nicht sein, die war verriegelt.
Als sie sich umblickte, standen zwei Männer in Regenmänteln auf der Schwelle; der eine ein Schwarzer, der andere ein Weißer mit einem kleinen roten Mal auf der Wange. Ein dritter Mann, älter, mit schlohweißem Haar und weißem Bart, trat hinzu. Die beiden Männer machten ihm Platz, als teilte sich das Meer für einen Propheten. Der Ältere trug weiße Hosen und ein weißes, am Kragen offenes Hemd unter einem langen, cremefarbenen Kaschmirmantel, als ob er den trüben Tag aufhellen wollte. Er füllte die kleine Wohnung mit seiner starken Präsenz. »Haben Sie keine Angst, Frau Buschhorn.« Philo sprach fließend Deutsch mit dem Hauch eines amerikanischen Akzents. »Wir wollen Ihnen nichts zuleide tun.«
»Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wie kommen Sie hier herein?«
Britta schwang ihren Rollstuhl herum, um die Eindringlinge von Angesicht zu Angesicht zu sehen und um ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ.
Philo nahm sich Zeit, sie zu taxieren. Eine starke Frau. Das Haar frühzeitig weiß geworden, wie bei ihm selber auch. Er kannte ihre Geschichte. Als Britta Buschhorn ihren Schergen entkommen und von Touristen gefunden worden war, hatte sie internationale Schlagzeilen gemacht und wurde bald darauf zur Symbolfigur der Menschenrechtsbewegung. Philo wusste, was in ihr vorging: Sie glaubte, dass er ihr nichts mehr antun könnte, was die Rebellen nicht schon getan hatten.
Aber da irrte sie.
Er zog ein schmales Büchlein hervor. Während ihrer Gefangenschaft hatte Brittas Ehemann Jacob eine Reihe mystischer Visionen erfahren. In der Dunkelheit hatte er Licht gesehen; in seinem Schmerz Gott gefühlt; in den Schreien seiner gefolterten Kollegen hatte er die Stimme Gottes vernommen; und als er vor Schmerzen bewusstlos wurde, hatte eine gütige Hand ihn emporgehoben und mit Licht umgeben.
Um seinen Mitgefangenen Kraft und Trost zu spenden, hatte Jacob ihnen seine Visionen enthüllt, hatte, wenn die Rebellen gerade nicht herschauten, mit Kreide, Kohle oder Bleistift alles auf Papierfetzen niedergeschrieben. Britta trug die Fetzen bei sich, als ihr die Flucht gelang. Nachdem sie sich im Krankenhaus erholt hatte und nach Hause zurückgekehrt war, hatte sie Trost in diesen Schriften gefunden, und weil sie glaubte, die Welt an diesen Botschaften der Hoffnungen teilhaben lassen zu müssen, hatte sie sie in einem kleinen Bändchen veröffentlicht. Das Büchlein wurde, für sie selbst völlig überraschend, umgehend zum Bestseller. Jacob Buschhorns Vermächtnis wurde in viele Sprachen übersetzt, natürlich auch ins Englische. Diese Ausgabe hielt Philo nun in der Hand.
»Wir sind wegen der originalen Papiere hier, aus denen übersetzt wurde.«
Jetzt begriff Britta. »Sie sind der Mann, der versucht hat sie zu kaufen.« Es hatte mehrere Angebote gegeben, das letzte belief sich auf eine Million US -Dollar.
»Der bin ich«, bekannte Philo höflich. »Und nun bin ich hier, sie zu holen.«
Sie griff nach dem Telefonhörer. Philo war mit zwei Schritten neben ihr, legte
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