Spur der Flammen. Roman
Leuchtfeuer, wie der berühmte Leuchtturm von Pharos.«
Der Wasserkessel pfiff. Philo ging in die Küche, den Tee aufzubrühen. Als er am Fenster vorbeiging verdeckte er das Licht. Ein Moment lang war alles dunkel, bis er weiterging. Britte überlief es kalt.
Als er mit der dampfenden Kanne zurückkam, saß Sammy unbeschwert in seinem Käfig und spielte mit den schimmernden Glasperlen und den kleinen Glöckchen, die so fröhlich klingelten.
Die beiden Männer hatten ihre Suche im Schlafzimmer beendet und begannen nun, zielstrebig das Wohnzimmer zu durchforsten. Nachmittägliche Schatten krochen über den Teppich, fielen auf die Eindringlinge. Der Mann, der zu ihr sprach – sie erkannte Philo Thibodeau mittlerweile aus den Nachrichten wieder, wo der amerikanische Milliardär und der deutsche Bundeskanzler sich die Hände reichten – behielt, selbst in ihrer komplexen Muttersprache, diesen leisen, einschmeichelnden Ton bei und sah sie dabei mit so viel Mitgefühl an, als ob er die Störung ihrer Privatsphäre zutiefst bedauerte.
»Im Jahr 391 n.Chr. betrachtete der Patriarch von Alexandria die Bibliothek, wo alles Wissen der antiken Welt angehäuft war, mit größtem Missfallen. Er befürchtete, dass, solange dieses Wissen existierte, die Menschen weniger geneigt wären, den Evangelien Jesu Christi zu glauben. Demzufolge bat er Kaiser Theodosius, dem daran gelegen war, alle heidnischen Kulte zu eliminieren, um die Erlaubnis, die Bibliothek zu zerstören. Ein christlicher Mob, von Brandreden und satanischem Gerede aufgebracht, griff die Bibliothek mit Brandfackeln an. In einer Orgie frömmelnden Hasses rafften sie Bücher und Schriftrollen aus der Bibliothek und verbrannten sie auf riesigen Scheiterhaufen in den Straßen Alexandrias, während die Priester und Priesterinnen sich zu retten versuchten. Können Sie sich das vorstellen, Frau Buschhorn?«
Britta konnte es. Vor einem flammend gelben Hintergrund sah sie Frauen und Männer, die sich gehetzt versammelten, Priester mit geschorenen Häuptern, Priesterinnen in langen schwarzen Perücken, mit flatternden weißen Gewändern, die in panischer Angst Arme und Körbe mit so vielen Büchern und Rollen wie möglich beluden und wegtrugen. Und draußen der wutentbrannte Mob, der sich die Priester griff und sie auf die Scheiterhaufen warf, um Fleisch und Papyrus gemeinsam zu verbrennen.
»Man schätzt, dass etwa eine halbe Million Schriftrollen an jenem Tag verbrannt wurden.« Philo reichte Britta eine Tasse Tee, schenkte sich selber ein und stellte die Tasse beiseite. Er ließ sie unberührt, wie auch Brittas Tasse unberührt blieb.
»Der Brand in der Bibliothek ist eine historische Tatsache«, sagte Thibodeau und zog sich einen Stuhl näher heran. »Was die Geschichte jedoch verschweigt, ist, dass viele der Priester und Priesterinnen mit ihrem Leben davongekommen sind – und mit einigem mehr.«
Die beiden Männer hatten ihre Suche im Wohnzimmer beendet und wandten sich nun, da sie nichts finden konnten, dem Kamin zu, der in all den Jahren nicht benutzt worden war. Sie griffen sich einen Stapel alter Zeitungen, die in den Altpapiermüll wandern sollten, knüllten sie zusammen und legten sie auf den Kaminrost. Britta sah ihnen verblüfft zu. Nachdem die Zeitungen aufgebraucht waren, wurden Poster von den Wänden gerissen – STOPPT DAS TÖTEN und FREIHEIT FÜR ALLES LEBEN – dann Magazine, Briefe und Bücher aus den Regalen gezerrt.
Brittas Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie waren dabei, einen Scheiterhaufen in ihrem Wohnzimmer zu errichten.
»Die Priester flohen aus Alexandria«, fuhr Thibodeau ungerührt fort, als ob er von dem Geschehen um sich herum nichts mitbekäme. »Mit allem, was sie an Büchern und Schriftrollen tragen konnten – die Legende besagt, dass eine Priesterin sogar einen ganzen Korb unter ihr Gewand schob, damit sie schwanger aussah, ein Korb, der mit den Prophezeiungen des Orakels von Delphi gefüllt war. In Zypern fanden sie sich zusammen. Von da aus zogen sie in Richtung Spanien und dann nach Frankreich, den anti-heidnischen Bewegungen immer einen Schritt voraus. Mit der Zeit ließen sich einige unter ihnen zum Christentum bekehren, aber das hielt sie nicht von ihrem Gelübde ab, die Schriften, mochten sie auch noch so heidnisch sein, zu hüten. Über die Jahrhunderte hinweg, während andere Schriften von intoleranten Geistern zerstört wurden, haben diese Alexandrier bewahrt, was sie vor dem Feuer retten konnten, und ihre
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