Spur der Flammen. Roman
Suche nach weiteren Schriften fortgesetzt, denn das war ihre heilige Pflicht.«
Philo hielt einen Moment lang inne, damit Britta sich sammeln konnte. »Ich habe keine Angst vor Ihnen«, sagte sie nur.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Das hatte ich von Ihnen auch nicht erwartet, Frau Buschhorn. Ich dachte nur, es sei fair, Sie wissen zu lassen, warum wir die Aufzeichnungen Ihres Mannes haben wollen.«
Er goss Sahne in ihren Tee und gab zwei Stück Zucker dazu. Britta sah einen merkwürdigen Goldring an seinem Finger aufblitzen: Der Schmuckstein war ein quadratischer Rubin mit Goldfäden darüber, wie gesponnene züngelnde Flammen.
In seinem Käfig am Fenster schlief Sammy den Schlaf des Gerechten.
»Der geheime Bund wuchs. Seine Mitglieder begleiteten die Konquistadoren und Padres nach Südamerika, wo sie heilige aztekische und Maya-Handschriften sicherstellten. Sie segelten mit den ersten Sträflingen nach Australien, lauschten den Mythen der Aborigines und schrieben ihre Weisheiten nieder. Es gibt keinen Winkel dieser Erde, dessen Heiligtümer der Geheimbund nicht erforscht hätte. Als Anthropologen, Forscher und Missionare bewegten sie sich unter den Indianern von Feuerland an der Südspitze Südamerikas, beobachteten versteckte Stämme in Neuguinea und Afrika. Alles, was sie von ihnen über das Göttliche, das Spirituelle und jedwede Prophezeiung lernten, brachten sie zurück und stellten es neben die Tora, die Lehren Jesu, die Worte Buddhas und Mohammeds, die Erleuchtungen von Laotse und Konfuzius.«
Der Mann begann ihr Angst zu machen. Politische Rebellen waren eine Sache, ein Visionär eine andere. »Aber Sie haben das Buch doch.« Britta wollte sich keine Schwäche anmerken lassen. Philo sah auf das schmale Bändchen, das auf dem Tisch lag. »Das reicht nicht. Die Übersetzung ist schwach. Zu viele Fehler darin. Das gilt auch für die deutsche Buchfassung. Für unsere Zwecke muss eine heilige Schrift so rein und ursprungsgetreu wie möglich sein. Als die Schriftrollen von Qumran gefunden wurden, stellte sich heraus, dass das Buch Samuel, wie es im Alten Testament steht, wesentlich kürzer ist als im Original. Jahrhundertelang wiederholte Übersetzungen und immer neue Abschriften, da können schon einmal Fehler vorkommen.«
Philo zog sich den Ring vom Finger, um Britta die Inschrift auf der Innenseite zu zeigen.
»Fiat Lux.
Es werde Licht«, sagte er. »Licht kann nicht gefälscht werden. Dies aber«, und damit deutete er auf das Buch von Jacob Buschhorns Erleuchtungen, »ist gefälscht und spendet daher kein Licht.«
Er schob sich den Ring wieder an den Finger und gab den Männern im Hintergrund ein Zeichen. Sie strichen Streichhölzer an und entzündeten das Feuer. Als die Flammen aufzüngelten, lief Britta ein Schauer über den Rücken.
»Die Alexandria-Sammlung besteht einzig und allein aus reinen, unverfälschten Schätzen«, fuhr Philo fort. »Wir sind im Besitz des zweiten Bandes der »Criswell-Weissagungen«, der nie zur Veröffentlichung gekommen ist. Fünfzig Edgar-Cayce-Vorlesungen, die nur uns bekannt sind. Bis dato unbekannte Vierzeiler von Nostradamus, die erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts ans Licht kamen. Die vergessenen Streitreden von Faraday Hightower. Und ein Essay von Scholem Alejchem in original Jiddisch.«
Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln, das ihr Herz heftig schlagen ließ. Sie hatte keine Ahnung, wovon dieser Verrückte sprach, aber er machte ihr Angst. Noch beängstigender waren die Flammen in ihrem Kamin. »Sie verstehen also jetzt, Frau Buschhorn, warum wir die Originalaufzeichnungen von Jacobs Visionen brauchen.«
Als sie nichts darauf sagte, nur still mit gefalteten Händen in ihrem Rollstuhl saß, bemerkte Philo: »Sie haben Ihren Tee noch nicht getrunken. Ein köstliches Aroma. Darjeeling, nehme ich an.« Der Tee befand sich in einem nicht gekennzeichneten Behälter in der Küche, aber Philo wusste einen Oolong von einem Earl Grey zu unterscheiden. »Herbsternte«, merkte er noch an, angesichts der rötlichen Färbung. »Mit dem typischen Charakter von West Bengalen. Ich bewundere Ihren Geschmack.«
Seine dunkelgrauen Augen, nunmehr mit den Flammen aus dem Kamin erglühend, fixierten sie, während seine Männer die Glut noch anfachten.
Draußen sank die Dämmerung über einen trüben Tag, und lange Schatten fielen in die Wohnung. Nur das Kaminfeuer warf goldene Lichtkegel an die Wände. »Diese Papiere sind alles, was mir von meinem geliebten Mann geblieben
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