Spur der Flammen. Roman
Flughafen lässt euch ausrichten, ihr möchtet leiser reden, sie können die Piloten nicht verstehen.«
Er sah, wie die beiden sich anfunkelten und sich wohl am liebsten gegenseitig an die Gurgel gegangen wären. »Ich bringe euch frohe Botschaft. Ich habe zwei Typen angeheuert, die uns nach Dschebel Mara bringen.« Er grinste unverschämt. »Ein kleines Dankeschön wäre nicht übel.«
Sie nannten sie schlicht und einfach die Organisation, und François Orléans arbeitete seit fast zwanzig Jahren für sie. Eine halbe Ewigkeit für einen Job wie diesen, aber andererseits auch nicht zu lange, um sich daran zu erinnern, dass sie ursprünglich Internationale kriminalpolizeiliche Organisation genannt wurde – ein wahrer Zungenbrecher, der dazu geführt hatte, dass man die Organisation bald nur noch ›Interpol‹ nannte, eine Kurzfassung, die ihr haften geblieben war.
Fast vierhundert Beamte aus vierundfünfzig Nationen standen im Dienste von Interpol. Die Zentrale befand sich in Lyon. Ein Drittel der Beamten war von den Aufsichtsbehörden in Mitgliedsländer abkommandiert; die restlichen zwei Drittel arbeiteten in der Verwaltung und unterstanden der Organisation direkt. Zu ihnen gehörte François. Er stammte aus Lyon.
Während Interpol auf vielen Gebieten im Einsatz war – weltweites Vorgehen gegen das organisierte Verbrechen, Drogenhandel, Waffenschmuggel –, hatte François mit derlei Angelegenheiten nichts zu tun. Auf dem Schild an der Tür zu seinem Büro stand
Interpol – Œuvres d’art volées.
Interpol – Abt. Kunstraub.
Weil sein Job sein Leben war, hatte François nie geheiratet, und da er somit, abgesehen von einem entfernten Cousin in Marseille, so gut wie keine Angehörigen besaß, ging er völlig in seiner Arbeit auf. An diesem Abend saß er noch zu später Stunde bei starkem Kaffee und einer Gauloise zwischen den Lippen in seinem Büro, als ihm eine schier unglaubliche Meldung in die Hände fiel: Eine komplette Sammlung von Möbeln aus der Zeit Louis’ XV . – Sofas, Stühle, Schränke, Schreibtische – war am helllichten Tage aus einem Haus in Paris entwendet worden. Über eine derart schamlose Dreistigkeit konnte er nur den Kopf schütteln.
Der Zufall wollte es, dass das Opfer ein Politiker war, weshalb man mit dem Vorgang Orléans betraut hatte, der nicht nur Polizist war, sondern auch Diplomat. Eine Voraussetzung für sein Fachgebiet. Kulturell Wertvolles konnte unter Umständen heikle Fragen aufwerfen, vor allem wenn es mit religiösen Fragen oder einem Nationalhelden zu tun hatte. Als in Madrid eine Diebesbande aus dem Prado einen Reliquienschrein, in dem sich angeblich die Gebeine des heiligen Jakobus befanden, entwendet und zum Verkauf an einen privaten Sammler nach Brasilien geschmuggelt hatte, hatte die spanische Regierung darauf gedrungen, den Fall vorrangig zu bearbeiten, weil Jakobus der Schutzheilige des Landes war.
Orléans zeichnete sich noch durch weitere Fähigkeiten aus. Die Kollegen bei Interpol behaupteten, François’ wahre Stärke sei, einfach alles zu wissen. Er kannte sich nicht nur auf dem Kunstsektor hervorragend aus. Seine Begeisterung für die Künste war von Kindesbeinen an in ihm geweckt worden, schon weil seine Mutter Kuratorin des Pariser Louvre gewesen war. Wenn sich andere Dreikäsehochs mit Spielzeugpistolen und Autos und Gummibällen verlustierten, hatte sich François in Bücher vertieft, in denen Gemälde von Raphael, da Vinci und Matisse abgebildet waren. Undenkbar, dass er einen anderen Beruf hätte ergreifen können. So etwas wäre ihm auch nie in den Sinn gekommen. Er liebte die Kunst, er liebte Kulturgüter. Ja, er empfand sich sogar als ihr Beschützer. Aber seine eigentliche Gabe war sein Erinnerungsvermögen, sein so genanntes »fotografisches Gedächtnis«. Seine Kollegen meinten sogar scherzhaft, er sei besser als ein Computer, denn wenn sie ihn etwas fragten, erhielten sie nicht nur sehr viel schneller, sondern auch umfassender Antwort.
Er legte den Bericht über das gestohlene Mobiliar beiseite, lehnte sich in seinem knarzenden Stuhl zurück und massierte sich den Nacken. Er hatte vor, den Fall seinem Mitarbeiter Reverdy zu übertragen, einem hartnäckigen Briten, der niemals aufgab. François selbst befasste sich nicht mehr mit derlei mühsamer und zeitraubender Plackerei. Sein Platz war der Schreibtisch, und er bekleidete den höchsten Rang, in den ein Nichtmitglied der Generalversammlung oder des Verwaltungsrats, die
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