Spur ins Eis
entwaffnen, und dann dürft ihr mir zusehen, wie ich sie langsam auseinandernehme.«
»Was hat meine Tochter dir getan, Javier ?«
»Du liebst sie. Das reicht schon.«
Devlin packte das Gewehr fester. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass sie es vor ein paar Stunden durchgeladen hatte. Sie stellte sich an die Tür, fand in der Dunkelheit das Schloss und drehte es langsam.
Als sie den Türgriff umfasste, versuchte sie sich daran zu erinnern, ob er gequietscht hatte. Dreh ihn langsam. So langsam es geht.
Der Türgriff drehte sich, und sie zog die Tür einen Spalt auf. Ein Lichtband fiel in den Raum. Devlin ließ den Türgriff los.
Die Stimme des Mannes klang nahe, als sei er nur ein paar Meter entfernt.
Erneut umfasste sie den Türgriff und zog die Tür ein wenig weiter auf. Sie war von Schrotkugeln durchsiebt, um das Schloss herum und weiter oben am Rahmen. Sie spähte um die Ecke und blickte den Korridor entlang. Javier hockte an der Wand, neben einem schwarzen Rucksack, eine Zigarette zwischen den Lippen. In einer Hand hielt er eine Pistole mit einem Schalldämpfer und einem langen Magazin. In der anderen Hand hatte er eine Vorrichtung, die an einen überdimensionalen PEZ -Spender erinnerte. Er saß etwa drei Meter von der Treppe entfernt, wo Devlins Vater mit einem Gewehr hockte.
Als er sie sah, wurden seine Augen weit, und er schüttelte den Kopf. Mit den Lippen formte er lautlos die Worte : »Geh sofort wieder hinein.«
71
Kalyn streckte die Hände aus, während sie vor Fidel zurückwich. Seit den Schüssen vor ein paar Minuten hatte sie nichts mehr von den Innises gehört, und sie fragte sich, ob sie wohl tot waren.
Fidels Messer sah nicht besonders bedrohlich aus – ein schwarzer Plastikgriff mit einer Zehn-Zentimeter-Klinge. Beide Seiten waren gezahnt, und das Ende bog sich zu einer scharfen Spitze. Er hielt es in der rechten Hand und bewegte sich geschmeidig. In seinen schwarzen Augen stand harte Entschlossenheit.
»Macht dich das stolz ? Gegen eine Frau so zu kämpfen ? Du weißt doch, dass ich mich nicht wehren kann.« Sie wich zurück in den Flur des Südflügels, und Fidels Gesicht lag jetzt mehr im Schatten.
»Mit meinem Stolz hat das gar nichts zu tun«, sagte er. »Es geht nur darum, dir Schmerzen zuzufügen.« Er stieß zu – eine blitzschnelle, flüssige Bewegung –, und bevor Kalyn reagieren konnte, fühlte sich ihr rechter Arm plötzlich kalt an. Unter dem Ärmel ihrer Fleecejacke lief Blut hervor. Noch fühlte sie keinen Schmerz, nur eine schreckliche metallische Kälte. Als nächstes kam ein reißendes Geräusch : Das Fleece klaffte auseinander. Erneut ein eisiger Blitz. Dieses Mal breitete sich die Kälte über ihrem Bauch aus.
»Javier hat mich gewarnt, dich nicht zu berühren, aber ich glaube, er hat nichts gegen ein bisschen unschuldiges Necken.«
Ihr war schwindlig. Der Lehrer im Kampfsportseminar auf der Akademie hatte etwas gesagt, das ihr jetzt wie eine wahr gewordene Prophezeiung durch den Kopf ging. Der gefährlichste Gegner ist jemand, der gut mit einem Messer umgehen kann. Eine solche Konfrontation musst du um jeden Preis vermeiden.
Sie wich zurück in den Korridor. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, das Blut lief ihr über die Schenkel und die Schienbeine bis in die Socken hinein.
Wenn du kopflos handelst, nimmt er dich langsam auseinander.
Sie konnte Fidel jetzt kaum noch sehen – er war nur eine Silhouette vor dem schwachen Licht aus der Halle.
Erneut kam er auf sie zu, und sie spürte den Luftzug, als die Klinge nur um Millimeter ihr Gesicht verpasste.
Er schnitt ihr in die rechte Hand und fügte ihr einen Schnitt über die Wange zu, knapp an ihrer Nase vorbei.
Sie waren jetzt mitten im Flur, und jeder Atemzug schmerzte tief in ihrer Lunge.
Sie stolperte über Suzannes Leiche, rappelte sich wieder auf. Fidel rutschte auf der Blutlache aus, fing sich aber wieder. Er drängte sie in den Alkoven. Im hellen Mondlicht, das durch das kaputte Fenster fiel, sah sie, dass ihre Fleecehose voller Blut war.
»Hoffentlich blutest du nicht zu sehr«, sagte Fidel. »Das ist ja nur das Vorspiel. Du darfst noch nicht kommen, das würde Javier mir nie verzeihen.«
Er fügte ihr einen Schnitt in den linken Oberschenkel zu, aber sie reagierte nicht auf den Schmerz, sondern drehte sich um, als wolle sie zur Treppe fliehen. Und Fidel machte genau den Fehler, auf den sie gehofft hatte – er sprang auf sie zu und holte weit aus, um sie mit dem Messer zu
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