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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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zur Kunstschule gegangen, hab ein Stipendium an der Slade School in London bekommen.«
    Sie spießte etwas Rührei auf, kaute, trank einen Schluck Wein. »Netter Wein. Ich war ziemlich engagiert. Kunst war alles für mich. Heute werde ich fast rot deswegen.«
    »Rot werden steht dir. Das Erröten am Oberkörper ist ganz besonders attraktiv.«
    Sie hakte ihre Knöchel hinter meine rechte Wade, drückte. »Wie auch immer, das ganze Engagement hat mir nicht dabei geholfen, was zu essen auf den Tisch zu kriegen. Ich war am Existenzminimum, als ich einen Halbtagsjob bei einem Portrait-Fotografen bekommen habe. Rufus Buchanan hieß der.«
    »Der Name eines Entdeckers«, sagte ich. »Der erste Mann, der durch die Südwest-Passage gefahren ist.«
    Sie lachte, wackelte mit dem Kopf. »Stimmt. Das mit der Südwestpassage weiß ich zwar nicht. Aber zeig Bucky eine Passage, und er versucht, sie zu erforschen. Ich war die Dunkelkammerassistentin. Die Kunden waren alle Leute, die richtig Geld mit Immobilien in London machten. Hast du mal diese Snowdon-Bilder von den Royals gesehen? Weichgezeichnet, geschönt bis zum geht nicht mehr.«
    »Ich hab ein Album davon«, sagte ich.
    »So was wollten Buckys Kunden auch. Leicht unscharf, alle Schönheitsfehler weg. Die Frauen fragten immer: ›Können Sie meinen Hals länger aussehen lassen?‹ oder ›Gibt es irgendeine Möglichkeit, etwas mehr Raum zwischen Julians Augen zu bekommen?‹, solche Sachen. Bucky war gut darin. Ein kleiner geiler Bock, hieß in Wirklichkeit Colin Biggs. Aus Liverpool. Man musste ihm zwei, drei Mal am Tag mit dem Stock eins auf die Finger geben. Das war sehr anstrengend, aber ich hatte schon in Aussie-Pubs gearbeitet, ich kam damit zurecht. Das Gute daran war, dass er die Dunkelkammer hasste, außer zum Rumfummeln, also sollte ich diese Arbeiten machen, und er hat mir alles erklärt. Und er verstand sein Handwerk, war durch eine harte Schule gegangen und hatte es von der Pike auf gelernt.«
    Sie schenkte Wein nach. »Das war die lange Antwort auf eine kurze Frage«, sagte sie. »Reicht jetzt aber auch über mich. Erzähl du mir, warum du Ex-Polizisten erschießt.«
    »Nein. Noch mehr über dich.«
    »Nun, das Schlimme an meiner Karriere ist«, fuhr sie fort, »dass sie ziemlich dramatisch begonnen hat. Ich konnte Filme entwickeln, also hab ich angefangen, Bilder zu machen. Dann bin ich mit meinem Freund in Ferien gefahren. Wir waren in einem kleinen Ort in Belgien, in der Nähe der Grenze nach Deutschland. Hübscher Brunnen, lauter Leute drumherum. Ich hab gerade fotografiert, als plötzlich auf der anderen Straßenseite ein Auto anhält, vor einer Bank. Dann kamen zwei Männer aus der Bank und zwei Männer sprangen aus dem Auto, mit Maschinengewehren, und haben die beiden anderen erschossen. Ich hab, oh, sieben oder acht Bilder gemacht. Die ganze Sequenz. War ein Rache mord der IRA . Die Toten waren britische Armeeoffiziere. Der Junge, mit dem ich zusammen war, war ziemlich ge rissen. Hat eine Londoner Agentur angerufen und am Telefon eine kleine Auktion mit meinen Bildern abgehalten. Nach Abzug der Provisionen und des Anteils an ihn hatte ich immer noch eine enorme Summe, so sah's damals je denfalls aus. Na ja, eigentlich sieht's immer noch ziemlich groß aus.«
    »Und du hattest einen neuen Beruf?«
    »Ich hatte noch nicht mal das Geld für die IRA -Bilder, da rief die Agentur schon an. Ob ich nach Beirut gehen wollte? Nun, ja. Ich war so erschreckend naiv und grün hinter den Ohren. Die haben mir natürlich nicht gesagt, dass mein Vorgänger gekidnappt und ermordet worden war, und dass sich kein anderer auch nur in die Nähe der Stadt wagen wollte.«
    Sie aß und trank. »Egal, ich hab Beirut überlebt, manchmal allerdings in Todesangst. Man gewöhnt sich dran. Man gewöhnt sich an alles. Hab ein paar gar nicht so schlechte Bilder gemacht. Und von da an ging es immer so weiter. Lange Zeit hab ich mir gesagt: nur noch ein Job, dann fang ich wieder an zu malen.«
    »Und hast es nie gemacht?«
    »Nein. Ich glaube, mit dem Malen ist es vorbei. Manchmal macht mich das traurig.« Sie blickte mich an. »Aber nicht in den letzten vierundzwanzig Stunden, mein verehrter Freund. Ich bin ziemlich aufgekratzt. Post-orgiastisches Aufgekratztsein.«
    Ich aß den letzten Bissen von meinem Rührei. »Was ist mit der Tristesse danach?«
    »Das haben nur die Franzosen«, erklärte sie. »Die Franzosen können nichts genießen, ohne dass es sie traurig macht. Die weinen sogar

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