Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
wegen Essen.«
»Wo wir gerade beim Thema Weinen sind, warst du je verheiratet?«
Lyall lehnte sich zurück, legte ihre Füße in meinen Schoß. »Ganz eindeutig. Fünf Jahre lang. Mit einem Fotografen, einem französischen Fotografen. Daher weiß ich auch das mit dem Weinen. Er ist tot. In Bosnien vor drei Jahren hinterrücks erschossen worden.«
»Das tut mir leid.« Ich nahm ihre Hand.
Sie nickte. »Wir waren schon lange geschieden. Ich hatte seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht, um ehrlich zu sein. Wir hatten uns ziemlich laut und chaotisch getrennt. Und dann krieg ich raus, dass ich immer noch als seine nächste Angehörige aufgeführt bin, und dass er mir alles hinterlassen hat. In einem Testament, das er erst nach der Trennung aufgesetzt hat.« Sie wandte den Kopf ab. »So was macht nur ein Franzose.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann sagte Lyall: »Und das war jetzt mehr als genug von mir. Erzähl mir was über die Irish-Frauen.«
Ich ließ ihre Hand los. »Meine erste Frau hat mich für einen Mann verlassen, der ihr Schönheitschirurg war. Das Skalpell hat eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Unsere Tochter hat sie mitgenommen. Wir waren nur ungefähr achtzehn Monate verheiratet. Ich bin drüber weggekommen. Ein ehemaliger Klient von mir hat meine zweite Frau ermordet. In einer Tiefgarage.«
»Oh«, sagte sie und biss sich auf die Unterlippe. »Jetzt bin ich dran, das tut mir leid zu sagen.«
Wieder Schweigen. Einen Moment lang saßen wir da, ohne uns anzublicken. Die Überlebenden. Die Zurückgelassenen. Dann nahm ich ihre Hand und küsste ihre langen Finger. »Jetzt reicht's mit Leidtun. Ich muss dich noch ein paar Sachen über Stuart fragen.«
»Scheiße«, sagte Lyall. »Ich wollte es dir schon gestern Abend sagen. Bevor mich die Leidenschaft überwältigt hat. Ich hab das Telefon-Logbuch gefunden, in dem wir Nachrichten aufgeschrieben haben. Seit Bradley weg ist, hab ich es nicht mehr gebraucht. Ich hatte es vergessen, aber ich war als Erste weggefahren, nach Ost-Timor, für das Maga zin der Londoner Sunday Times. Bradley und Stuart haben die Nachrichten für mich und sich gegenseitig ab dem drei ßigsten Juni aufgeschrieben. Dann muss Bradley wohl weggefahren sein, weil Stuart ab dem vierten Juli für uns beide Nachrichten notiert hat. Hier ist die letzte, die er ins Buch geschrieben hat.«
Sie reichte es mir. »Siebter Juli«, sagte sie.
In sauberer Handschrift standen da Datum und Nachricht: Brad – James Margo (Margaux?) anrufen. Du hast die Nummer.
»Am zehnten morgens ist er nach Sydney geflogen?«
»Ja.«
Ich sah die Einträge vor dem siebten nach. Das Telefon in dem Haus war ziemlich gefragt. Am sechsten Juli hatte Stuart sechs Einträge gemacht: vier Anrufe für Bradley, zwei für Lyall. Am fünften hatte er sieben notiert; am vierten fünf Anrufe für Lyall und vier für Bradley.
Ich ging weiter zurück. Es gab keinen Tag, an dem weniger als vier Nachrichten aufgeschrieben waren.
»War ja schon 'n Halbtagsjob, hier Nachrichten aufzuschreiben«, sagte ich.
Sie nickte. »Das ist noch gar nichts. Eine herrlich ruhige Zeit. Bradley konnte gut zwanzig Anrufe an einem Tag bekommen. Mit Leichtigkeit. Hat einen ganz irre gemacht, wenn er nicht hier war. Filme machen. Was für ein Geschäft. Bitte geben Sie Brad eine dringende Nachricht weiter, bitte sorgen Sie dafür, dass er zurückruft. Fünf oder sechs Projekte in der Mache, mit Dutzenden von Leuten, die damit zu tun hatten, alle ständig am Telefon, alles immer dringend.«
Lyall trank ihr Glas aus. »Natürlich ist das nur heute dringend, morgen gibt es einen neuen Traum. Kaum was davon wird tatsächlich realisiert, aber sie geben die Hoffnung nicht auf. Nichts ist jemals ganz tot.«
»Die beiden Tage«, sagte ich, »achter und neunter Juli. Da sind keine Anrufe verzeichnet. Wie kann das sein?«
Lyall zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
»Als du zurückgekommen bist, bis wann gingen da die aufgenommenen Anrufe zurück?«
»Zehnter Juli.«
»Sicher?«
»Der Anrufbeantworter sagt immer Datum und Uhrzeit bei jeder Nachricht. Als ich zurückgekommen bin, hat diese schreckliche Stimme Donnerstag für die erste Nachricht genannt. Donnerstag war der zehnte.«
»Also muss Stuart Dienstag und Mittwoch gelöscht haben, ohne die Nachrichten aufzuschreiben.«
»Das wäre das erste Mal. Er war sehr gewissenhaft, was die Anrufe anging. Hör mal, mir ist da gerade was anderes eingefallen. Das scheint alles so
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