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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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schlief ich ein und verpasste den Auftritt des Schönlings von Mitte dreißig und zugleich des Mannes, der ihr Ohr geküsst hatte. Als ich mit trockenem Mund und schmerzenden Augen wieder aufwachte, kochte ich einen Tee und schaute mir einen Dokumentarfilm über Ulster an. Es bestand kein Zweifel, dass im Wasser oder in der Luft Irlands irgendetwas Rötendes enthalten sein musste. Ein weiterer Beweis für diese Hypothese folgte in Person des Moderators der folgenden Sendung zum Zeitgeschehen, einem Mann irischer Abstammung mit der unübersehbaren Ausstrahlung eines Boskopapfels. Ich ging nach draußen, um Holz zu holen, und als ich zurückkam, stritt sich der Mann gerade mit einem Kahlkopf, der so traurig und seiden daherkam wie ein Leichenbestatter.
    Mir war das Zeitgeschehen egal. Ich schaltete aus. Ich wollte Linda anrufen, ihr Lachen hören, hören, wie sie sagte, dass es außer Frage stand, dass sie mich liebte und mich vermisste. Ich wollte in der sicheren Gewissheit schlafen gehen, dass jegliche Annahme des Gegenteils para noid war. Doch der empfängliche Teil meines Verstandes, der kaum mehr als rudimentär entwickelt ist, sagte nein.
    Ich ging ins Bett, um mich dem Berg in der Ferne zu stellen: Männer und ihre Väter. Bevor ich mich jedoch dem Berg auch nur ansatzweise nähern konnte, musste ich das Bett machen, die verknitterten Laken umschlagen und glatt ziehen.
    Es schien so sinnlos.
    Es war so sinnlos.

ch saß bei Meaker's und aß ein Sandwich mit gebratenem Schinken, Salat, Tomate und Gurke und las den Sports-man, als der Boden erbebte und ich den größten Teil meines Leselichts einbüßte.
    Kelvin McCoy, geheilter Heroinfixer, nicht geheilter Trinker, begnadeter Angeber in der bildenden Kunst und ehemaliger Klient ließ seinen massigen Körper in einen Stuhl mir gegenüber fallen. McCoy hatte die Räumlichkeiten des ehemaligen Sweatshops gegenüber von meinem Büro gemietet und nutzte sie als Atelier/Wohnung. Leute, die nicht daran glaubten, dass er über irgendein künstlerisches Talent verfügte, behielten das im Allgemeinen für sich: McCoy war gebaut wie eine Straßenkehrmaschine. Sein Kopf war rasiert, seine Nase eingeschlagen, kleine Augen in der Farbe von Kerzenwachs, und er hielt sich beeindruckend schmutzig. Etwa fünfzehn große Leinwände verließen jedes Jahr sein Atelier unter Titeln wie »Dialektik des Patriarchen« oder »Rituale der Hegemonie«. Ein Mann, der an der Melbourne University etwas lehrte, dass sich Cul tural Studies nannte, lieferte die Namen.
    Unerklärlicherweise drängelten sich die Reichen danach, McCoys dunkle und düstere Durcheinander aus Farbe, Haaren, Fingernagelabschnitten und anderen unidentifizierbaren, aber beunruhigenden Substanzen zu kaufen.
    Sein Galerie-Hai gestand ihm einen kleinen Anteil an den Erlösen zu, die er schnell wieder unters Volk brachte.
    »Guten Morgen«, sagte ich. »Etwas zu lesen finden Sie in dem Korb an der Tür. In Ihrem Fall: etwas zum Anschauen.
    »Ich sehe, Ihre Kundin sitzt auch hier«, sagte McCoy und steckte eine Hand unter seine Achselbeuge, um sich zu kratzen. Ich hätte meine Hand lieber in einen Mülleimer voller gebrauchter Spritzen gesteckt.
    »Was?« Ich hielt den Blick auf meine Zeitung gerichtet. Man forderte McCoy um diese Tageszeit besser nicht heraus. Eigentlich zu den meisten Tageszeiten nicht.
    »Miss Saubermann da drüben.« Er verdrehte die Augen. »Hat nach Ihnen gesucht. Hat an Ihre Tür geklopft. Hab sie eingeladen rüberzukommen, um sich meine Arbeit anzuschauen, aber sie war nicht scharf drauf.«
    »Das beweist ästhetisches Urteilsvermögen«, sagte ich. »Welche denn?«
    »Meine Güte, Irish, raten Sie mal.«
    Ich schaute mich um. McCoy würde wohl kaum jemanden in voller Motorradmontur mit bunt gefärbten Haaren und Nasenringen Miss Saubermann nennen. So blieb nur noch die Frau übrig, die in der linken Ecke saß und die Age las. Sie war etwas über dreißig, dunkles, nach hinten gekämmtes Haar, das die Ohren sehen ließ, leicht gebräunt, sportlicher Tweed-Blazer mit weichem Lederkragen.
    »Das ist wahrscheinlich eine seriöse Person, die die Dienste eines Profis benötigt«, sagte ich. »Davon verstehen Sie nichts, McCoy.«
    McCoy lächelte. Das beinhaltete, dass seine Lippen sich zur Seite zogen und drei tiefe Furchen auf seiner Wange erschienen. »Oh, ich weiß nicht«, sagte er. »Ich erinner mich noch, dass ich auch mal die Dienste eine Profis benötigt habe. Und alles, was ich gekriegt hab, waren

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