Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Natürlich sagen wir nicht, wo wir die Adresse her haben. Das bleibt absolut vertraulich.«
»Na gut, wenn Sie uns nicht erwähnen. Er steht auf der Mailingliste, bekommt immer den Newsletter.«
Er ging zum Computer, tippte ein paar Befehle ein und gab mir eine Adresse in East St. Kilda.
Mr. Jellicoe wohnte in einem kleinen einstöckigen Haus, das in den fünfziger Jahren eine Baulücke geschlossen hatte, hinter einer hohen blassgelben Mauer. Ich drückte auf die Klingel. Niemand öffnete.
Ein neu aussehender Saab parkte bei dem Haus nebenan rückwärts ein, eine schlanke Frau mittleren Alters in einem Jeansanzug stieg aus und griff nach ihrer Aktentasche.
Ich klingelte wieder, länger. Wartete, probierte es an dem stabilen Holztor. Abgeschlossen. Pech.
»Da wohnt keiner mehr«, sagte die Saab-Frau streng. Sie stand vor dem Nachbartor, den Schlüssel in der Hand.
Ich lächelte sie an. Keine Reaktion. Innenstädtisches Misstrauen.
»Ich suche nach einem gewissen Mr. Jellicoe«, sagte ich. »Er hat hier bis vor Kurzem gewohnt.«
»Der ist tot«, sagte sie. »Jemand hat ihn zusammengeschlagen und erwürgt. Die Polizei sagt, er muss einen Einbrecher überrascht haben.«
»Wow«, sagte ich. »Gestorben für einen Videorekorder. Wann?«
Sie entspannte sich etwas, verzog das Gesicht. »Anfang April. Dritter oder vierter«, sagte sie. »Wir sind schon zwei Mal innerhalb eines Jahres ausgeraubt worden. Ich bin reingekommen und hab den einen erwischt. Eine erbärmliche Kreatur, wirklich. Hatte schreckliche Entzugserscheinungen. Das ist doch alles vollkommen außer Kontrolle geraten.«
»Ja, man fängt an, sich danach zu sehnen, aufs Land zu ziehen«, sagte ich. »Lappland am besten. Ich weiß nicht mal, wo Mr. Jellicoe gearbeitet hat.«
»Irgendwas mit Reisen«, sagte sie. »In der Stadt.«
Ich fuhr nach Fitzroy zurück. Auf dem ganzen Weg bohrten an den Ampeln Männer in ihren Nasen, Männer in Pkws, Pick-ups und Lastwagen, und begutachteten die Beute. Der schmierig-graue Tag hatte in seinem Endstadium einen rostigen Farbton angenommen, der gesamte westliche Himmel glühte wie die Wange eines fiebernden Kindes.
Im Stau zu sitzen, verschaffte mir eine Menge Zeit, über Gary nachzudenken. Gary und seine hochwertige ausgeschaltete Alarmanlage, Gary, der von einem Mann verfolgt wurde, Gary, der verschwunden war, und der Mann, den Gary regelmäßig in seinem Getränkeladen traf, ermordet.
An einer der vielen Ampeln rief ich Wootton an. »Diese Nachforschung von vorhin«, sagte ich, »da brauch ich noch mehr.«
»Zu einem angemessenen Honorar, nehme ich an.«
»Zum ermäßigten Satz für Leute, die bereits Dienstleistungen weit, weit über ihre Verpflichtung hinaus erbracht haben. Ja.«
Wootton seufzte. »Was genau brauchst du?«
»Die Einkommensquelle der betreffenden Person.«
Wootton lachte, ein flaches, falsches Lachen. »Das ist ziemlich unmöglich, fürchte ich. Diese Dienstleistung ist nicht im Angebot.«
»Nur so ein Gedanke«, sagte ich. »Wollen wir nachher noch was trinken gehen?«
»Sehr gern.«
Ich parkte am Stall und nahm eine Straßenbahn in die Stadt, in der nur ein halbes Dutzend Leute saßen. In der Gegenrichtung waren die Bahnen vollgestopft mit den Ermüdeten und Beladenen auf ihrem Weg nach Hause.
An der ersten Haltestelle in der Collins Street stieg ich aus und ging den Hügel zur Spring Street hinauf. Die Straße hatte bereits ihr winterliches Abendkleid angelegt: Licht von der Farbe reifer Pfirsiche fiel aus den Schaufenstern teurer Geschäfte auf den Bürgersteig, auf dahineilende Menschen, Menschen in dunkler Kleidung, in Mantel und Schal, ein dunkles Rot wie getrocknetes Blut war die Lippenfarbe der Frauen in diesem Jahr, im Hintergrund der Lärm der Hupen, klappernder Straßenbahnen und in der Luft der durchdringende Geruch von Abgasen. Kurz vor der Ecke stieß eine große dunkelhaarige Frau, langes, intelligentes Gesicht, strenger grauer Anzug, beinahe mit mir zusammen, nur eine leichte Berührung, ein kurzes Streifen der Körper. Aber sie trug Lindas Parfüm. Es überwältigte mich, meine Nase, meine Kehle, mein Herz.
Nach der Ecke, in der Spring Street, verschwanden die Leute in der U-Bahn, als würden sie von Treibsand verschluckt. Ich blickte zum Parlamentsgebäude hinüber. Auf der Treppe war ein Fernsehteam mit Scheinwerfern, das eine blonde Frau dabei filmte, wie sie einen Mann in einem dunklen Anzug interviewte.
Wootton saß an seinem Fensterplatz in der Bar des
Weitere Kostenlose Bücher