Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Windsor Hotels, ein Glas Whisky neben sich, die Zeitung in der Hand. An dem langen Tresen standen die jung und elegant aussehenden Stammkunden, kein einziges Piercing, kein kahlrasierter Kopf, und lachten und wieherten über ihre eigenen Witze.
Ich holte mir ein Bier und setzte mich zu ihm. »Cheers«, sagte ich.
Wootton blickte von seiner Zeitung auf, nahm die Hornbrille ab, klappte sie zusammen und steckte sie hinter das dreieckig gefaltete Einstecktuch in der Brusttasche seines grauen Nadelstreifenanzugs.
»Ich war heute Nachmittag bei Gericht«, sagte er.
»Tut mir leid, das zu hören. Kaution war aber offensichtlich kein Problem?«
Er ignorierte meine Flapsigkeit.
»Die Krone hat sämtliche Anklagepunkte gegen Brendan fallen gelassen. Er ist ein freier Mann. Während wir hier miteinander sprechen, fährt ein freier Mann mit seinem Wagen nach Hause aufs Land bei Maryborough. Es gibt doch noch einen gerechten Gott.«
»Ein gerechter Gott«, erwiderte ich, »würde dafür sorgen, dass, während wir hier miteinander sprechen, Brendan O'Grady von einem vollbeladenen Transporter überrollt würde. Und was sein Zuhause auf dem Land angeht, so gehörte das früher mal einem Kerl namens Cicchini. Bren hat ihn fertigmachen lassen, so dass er sich ungefähr vier Tonnen Gras unter den Nagel reißen konnte, die der Typ verkaufsfertig da gelagert hatte. Außerdem wollte er die Frau beglücken. Und die Tochter. Möglicherweise auch noch den Hund.«
Ich trank von meinem Bier.
Wootton hustete. »Er lässt dir seine besten Empfehlungen ausrichten«, sagte er. »Themenwechsel. Du hast Glück. Die Steuerbehörde hat deinen Freund gerade letztes Jahr unter die Lupe genommen.«
»Warum?«
»Reisekostenabrechnung wahrscheinlich. Wahrscheinlich haben sie ihn nur bei einer routinemäßigen Kontrolle rausgepickt. Ziemlich umfangreiche Abrechnungen. Ein Weltreisender.«
»Geschäftlich?«
Wootton nickte. »Sie haben's sogar anerkannt. Der lebt ganz gut, das kann ich dir sagen.«
»Quellen?«
»Verschiedene Quellen. Der Ausdruck ist da drin.« Er zeigte auf seinen braunen lederbezogenen Diplomatenkoffer, der einem vorstädtischen Bankfilialleiter alle Ehre gemacht hätte.
»Beruf?«
»Sicherheitsberater. Ein Beruf, von dem ich mir oft wünschte, ihn ergriffen zu haben. Die Sicherheitsanforderungen großer Unternehmen analysieren, Sicherheitsstrategien entwickeln, Ratschläge zur Ausstattung geben …«
»Die Informationen an die Gegenseite verkaufen, Schmiergelder einstreichen. Du hättest eine natürliche Begabung dafür.«
Wootton seufzte und trank. »Dein Rabatt, mein Lieber, was diese Informationen angeht, ist gerade eben auf Nichts zusammengeschmolzen. Und der Aufschlag für jeder Grundlage entbehrende Unverschämtheiten ist soeben fällig geworden. Bezahlst du die Chips? Salz und Essig, bitte.«
Ich bestellte die Chips, dann nahm ich den Ausdruck aus Woottons Aktentasche und transferierte ihn in eine weiße Plastiktüte, die von seiner großartigen Freundin hinter dem Tresen hervorgezaubert wurde. Wir tranken noch einen und gingen dann. Wootton schlenderte zu seinem Parkhaus. Ich ratterte mit der Tram nach Hause – ich, ein blinder Mann mit einem Blindenhund, vier müde aussehende Vietnamesinnen, die zusammen unterwegs waren, und ein großer, rotgesichtiger Betrunkener, der mit sich selbst redete und seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe etwas vorsang.
Die Plastiktüte in der Hand, wanderte ich durch die schmalen Straßen zu meinem Stall.
Keine Linda auf dem Anrufbeantworter. Nur Andrew Greer, Brendan O'Gradys neuer Anwalt. Er nannte seinen Namen nicht:
»Ein hübsches Bündel von Aussagen. Zwei sind ja schon gut, aber drei? Die andere Seite ist eingeknickt und hat aufgegeben. Bren würde dich am liebsten heiraten. Ich bin jetzt weg und betrinke mich heute Nacht mit Huren, aber morgen kannst du mich ja mal anrufen.«
Ich setzte Wasser für Pasta auf, schob tiefgefrorene Soße in die Mikrowelle und machte Feuer auf der Asche von mindestens zehn alten Feuern.
Die Stühle in meinem Wohnzimmer sehen leer und nackt aus.
Das war schon eine starke Botschaft, um sie auf einem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Die mussten garantiert eine Saite in Linda zum Schwingen bringen. E.A. Presleys dümmstes Lied. Nie zusammen gehört.
Ich verzehrte mein Abendessen ohne Genuss und machte es mir mit der Geschichte des Duells gemütlich. Während ich erfuhr, wie schmerzhaft die Folgen einer Beleidigung früher sein konnten,
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