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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Gott, Männer und ihre Väter.
    Musik. Wie der Berg in der Ferne.
    Ich stand auf und trat ans Fenster. Im ausklingenden Tag glänzte die Straße feucht, ihre stark abgefahrene Oberfläche sah aus wie der schwarze, gebrochene Rücken einer uralten Schlange, die sich zwischen den Häusern hindurchwand. Die Musik drang aus Kelvin McCoys Atelier. Klassische Musik, Debussy, grob geraten. Der Gedanke, dass McCoy von Debussy Inspiration für seine schmierigen Gemälde empfing, verblüffte mich zutiefst.
    Ich ging über die Straße, stellte mich an die Tür und lauschte unverfroren.
    Über der Musik die Stimme einer Frau. Dann McCoys ruinierte Stimme, die laut sagte: »Entspann dich, Kleines. Für mich ist das nichts Besonderes. Absolut nicht. Ich bin Künstler, ich arbeite täglich mit nackten Frauen.«
    Arbeiten? Mit nackten Frauen?
    In der Tat.
    Ich hielt kurz bei Taub's an, um Charlie einzusammeln, und es gelang mir, ihn innerhalb von zwanzig Minuten zur Tür hinaus zu bugsieren. Im Prince war Norm O'Neill gerade dabei, die Herald Sun zu lesen.
    »Jack, Charlie«, sagte er und wedelte dabei mit der Zeitung, »was meint ihr, wo kriegen die diese Footy-Reporter her? Aus dem Kindergarten? Verdammt grün hinter den Ohren. Dieser Clown hier hat keine Ahnung von den Sainters. Wenn man danach geht, was dieser Trottel weiß, hätte der Club auch letztes Jahr erst vom Mars runtergefallen sein können.«
    Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne. War es das, was T.S. Eliot gesagt hatte?
    Mit diesem Gedanken im Kopf bestellte ich eine Runde beim Wirt. Stan sah aus wie ein Ausbund an Freundlichkeit, unser dicklicher, altmodischer Wirt verbreitete Weisheit und gute Laune. Welche Droge konnte eine dermaßen umfassende Veränderung der Persönlichkeit bewirken?
    »Die haben das Angebot verdoppelt«, sagte er, als er mein Bier vor mir abstellte, lehnte sich dabei über den Tresen und flüsterte nicht, sondern kicherte eher. »Die wollen die alten Bilder unbedingt haben.«
    Und dann zwinkerte er, warf mir einen anzüglichen Blick zu, nahm schleunigst wieder die Haltung des dicklichen Ausbunds an Freundlichkeit an. Er sah aus wie Mr. Pickwick unter Einfluss von synthetischen Hormonen.
    Ich ging mit meinem Gesicht ganz dicht an seines heran. »Stanley, du hörst nicht zu. Die Fotos sind nicht einfach nur alte Bilder. Du versuchst hier, geheiligte Gegenstände zu verkaufen. Die sind mehr wert als dein ganzes Leben. Viel mehr. Die Leute, die dich dafür umbringen werden, interessieren sich einen Dreck für lebenslängliche Strafen. Die könnten sowieso jede Sekunde abtreten. Verstehst du mich?«
    Stan prallte zurück, immer noch strahlend wie Mr. Pickwick. Mr. Pickwick, der sich in einen leidenschaftlichen Sozialarbeiter verwandelt hatte. »Jack«, sagte er. In diesem einen Wort lag Verständnis und Unvoreingenommenheit. »Jack, entschuldige bitte, du bist ein netter Kerl, aber du verstehst einfach nicht, welche Dynamik in der Veränderung liegt. Ich will dich ja nicht kränken, aber du wirst allmählich ein bisschen wie die alten Säcke. Lebst nur noch in der Vergangenheit.«
    Er musterte mich wohlwollend. »Nicht nur die Fotos, Jack. Die wollen nicht nur die Fotos. Ich dachte, du hättest das kapiert.«
    Ich trank einen großen Schluck Bier. »Erklär's mir, Stan. Langsam.«
    »Die wollen das Ganze. Das Melbourner Hauptquartier der Brisbane Lions. Einen neuen Namen. Hör mal. Die Höhle des Löwen.«
    »Genial.« Ich trank mehr Bier.
    Er warf mir einen aufmunternden Blick zu, den Blick, den Harry Strang McCurdie zuwarf, als der Trainer vom Land es geschafft hatte, sich selbst Tee einzuschenken.
    »Mein Vorschlag«, sagte Stan. »Hättest mal sehen sollen, wie das Gesicht von dem Typen auf einmal geleuchtet hat. Die Magie des Marketing. Totales, synergistisches Marketing. Diese Jungs hier haben einfach keinen Weitblick. Dafür braucht man Jahre am Interface zum eigentlichen Pointof-Sale.«
    »Zum eigentlichen Point-of-Sale? Ist das dasselbe wie Bierzapfen? Bier, das wie Seifenlauge schmeckt.«
    Er ignorierte die Frage. »Ich als Chef, natürlich. Spielautomaten. Bistro. Großbildfernseher. Alle Wände hier rausnehmen. Bögen. Und dann noch oben. Rat mal.«
    »Zu schwer. Ich hab dafür noch nicht genug Jahre am Interface.«
    »Denk nur mal drüber nach. Zwei renovierte Apartments im Loft-Style oben. Na, wie hört sich das an? Wenn das nicht kreatives Denken ist!«.
    Ich bedachte ihn mit meinem Kreuzverhör-Blick. »Nicht besonders kreativ,

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