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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Hauptstadt hindurchrasen. Und unglaubliche Summen für sich selbst auszugeben, ist das, was Canberra am besten kann. Diese Stadt ist die langfristigste und teuerste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in der Geschichte der Menschheit.
    Solche Gedanken kamen mir, als ich zum jüngsten Ar-beitsplatz-Beschaffer hinaufging, dem neuen Parlamentsgebäude. Früher war dort mal ein ziemlich hübscher Hügel gewesen. Nach den Entwürfen amerikanischer Architekten hatte eine Armee aus fleißigen Arbeitern die Hügelkuppe abgetragen und Jahre damit zugebracht, sie durch eine neoaztekische Opferpyramide zu ersetzen. Eine Pyramide, deren Dach abgeschnitten und durch einen dreieckigen Fahnenmast ersetzt worden war.
    Doch ich hatte die Attraktivität des Gebäudes unterschätzt. Die weitläufigen Räume waren voll von Touristen. Busladungen älterer Menschen mit glasigen Augen wurden von erbarmungslosen Reiseleitern hindurchgetrieben. Und dabei wollten sie doch nichts anderes, als sich mal eine Minute hinsetzen, die Beine ausruhen, darüber nachdenken, wie schön es wäre, jetzt mit einem Buch zu Hause zu sitzen. Horden von Kindern tummelten sich überall. Die Mädchen flüsterten gelangweilt miteinander, die Jungen schrien, knufften und stießen sich. Japaner beäugten den Ort so verunsichert wie Männer, die fürchten, versehentlich in die Damentoilette geraten zu sein.
    Es war eine Erleichterung, endlich oben anzukommen, draußen in dem schwachen Sonnenlicht zu stehen, in der kalten, kleinen Brise. Ich war müde, hatte einen pelzigen Geschmack im Mund. Bereute es jetzt, auch noch die zweite Flasche Heathcote Shiraz aufgemacht zu haben.
    Ich trat auf die Aussichtsplattform hinaus, auf die Berg-wiese aus Beton, und blickte nach unten auf den Disneyland-See. Rechter Hand repräsentierten Trophäengebäude die Kunst, das Recht und die Wissenschaft. Doch der Blick wurde über die glänzende Wasserfläche hinweg einen anderen Hügel hinauf gelenkt, auf ein monumentales Gebäude, das an Australiens Beitrag in den Kriegen Großbritanniens und Amerikas erinnerte. Der große Platz des Tötens: Ehret die Toten, glaubt an den Ruhm, schickt die Kinder weiter hin.
    Ich fahndete in mir nach einem Aufwallen von Patriotismus. Zwei Irishs, gestorben für ihr Land, waren auf der Tafel gelistet, die im Inneren des Kriegstempels da drüben aufgestellt worden war. Alles, was ich empfand, war ein Gefühl von Verschwendung. Das und ein wiederkehrendes Verlangen nach einer Zigarette.
    Meryl Canetti war Mitte dreißig, Jeans und Blazer, mittelgroß, dünn, helles, kurz geschnittenes Haar, Spuren von Sommersprossen rings um die Nase herum. Sie rauchte eine Zigarette, presste sie an ihre Lippen, blies den Rauch zischend aus, blickte sich ruckartig um wie ein Vogel. Wenn die Zigarette ihren Mund nicht mehr berührte, dann wanderte ihre linke Hand zu den Augen, nervösen Augen, zu den Ohren, in ihr Haar. Sie musste als Teenager mal hübsch gewesen sein, attraktiv mit zwanzig, und könnte es wieder werden, wenn diese Panik sie jemals verließe.
    Sie sah mich kommen, tat noch zwei schnelle Züge, warf die Zigarette weg, trat sie aus, blickte starr auf die Ausgabe der Age , die ich unter dem Arm trug.
    »Mrs. Canetti?«
    Kurzes Nicken, Schniefen.
    »Suchen wir uns einen Platz, wo wir uns hinsetzen können.«
    Es gab eine überfüllte Cafeteria. Ich besorgte Tee, beobachtete, wie sie sich ständig umschaute, unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte wie ein Kind.
    »Ich weiß nicht viel«, sagte ich, als ich mich setzte. »Was macht denn Market Asia Consultants?«
    »Import-Export«, sagte sie. Abgekaute Fingernägel. Feine Linien, Furchen, die von ihren Mundwinkeln nach unten führten. »Dachte ich. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Können Sie das glauben? Acht Jahre verheiratet. Zwei Kinder.«
    »Ist er jeden Tag zur Arbeit gegangen?«
    »Ja. Büro in Manuka.«
    »Sie wissen nicht genau, was für eine Arbeit, oder?«
    Sie beantwortete die Frage nicht.
    »Wie kann denn jemand einfach so verschwinden?«, fragte sie.
    Die Medikamente hielten alles gerade so in Schach. Sie nippte an ihrem Tee, verschluckte sich, hustete. Ihre Wimpern waren kurz, beinahe unsichtbar. Ich wartete, trank von meinem Tee.
    »Sie sagten, es seien Männer gekommen, um es Ihnen mitzuteilen. Wann war das?«
    »Achtzehnter April.«
    »Haben die Ihnen auch gesagt, wo Ihr Mann war, als er verschwand?«
    »Nein. Aber ich weiß, wo er war. In Melbourne.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Vom Telefon. Es

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