Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Sie?«
Achselzucken. »Wenn er noch am Leben ist, dann zumindest nicht in Neuseeland. Sein Bild war im Fernsehen, in allen Zeitungen, Kate hat ein Vermögen dafür ausgegeben, dass überall Plakate aufgehängt wurden. Irgendjemand müsste ihn gesehen haben. Die Städte da sind eher wie größere Landstädtchen, und diese Städtchen sind ungefähr so wie Hamilton in den Fünfzigern.«
»Ich weiß, es ist ein bisschen viel verlangt, aber könnte ich mal einen Blick in sein Büro werfen?«, fragte ich.
Lyall blickte mich lange an. »Klar. Ich wollte das gerade vorschlagen. Hilft mir vielleicht, es nicht mehr so gruselig zu finden. Kommen Sie.«
Sie ging als Erste die Treppe hoch. Es war nicht unangenehm, hinter ihr herzugehen.
»Es war noch okay, solange Bradley hier gewohnt hat«, sagte sie. »Aber jetzt horche ich jedes Mal, wenn ich heimkomme, auf Geräusche von oben, auf seine Musik. Er hat immer so afro-amerikanisches Zeug gehört. Ich hab versucht, seine Türen offen zu lassen, aber dann kam ich eines Tages aus Hongkong wieder und sie waren zu. Ich war wie versteinert, wusste nicht, was ich machen sollte.«
Oben kamen wir in einen breiten Flur, von dem auf jeder Seite drei Türen abgingen.
»Die Putzfrau hatte sie zugemacht«, erklärte Lyall. »Seitdem hab ich sie immer zu gelassen, hab ihr gesagt, sie soll sie nie wieder offen lassen. Jetzt rechne ich jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, damit, dass sie offen stehen.«
Stuart Wardles Büro sah nicht aus wie die Spielwiese eines dilettierenden Journalisten. Auf einem Arbeitstisch unter dem Fenster standen ein Computermonitor, eine Tastatur und ein Rechner sowie Fax und Telefon mit Anrufbeantworter. Stuarts Stuhl war ein teures, lederbezogenes Modell, flankiert von riesigen Papierkörben aus Metallgeflecht. An einer Wand standen zwei Aktenschränke mit jeweils zwei Hängeregistraturen, auf einem befand sich noch ein kleiner Kopierer, auf dem anderen eine kleine Stereoanlage.
Ich öffnete das untere Abteil des linken Aktenschranks. Leer. Oben. Leer. Nächster Schrank. Dasselbe.
»Dieses Telefon war ursprünglich die Hauptleitung ins Haus«, erklärte Lyall von der Tür aus. »Das unten war eine Nebenstelle. Hat immer für ziemliches Chaos gesorgt, wenn er den Anrufbeantworter anhatte. Man war unten, das Telefon hat geklingelt, hörte auf, bevor man dran war, man musste nach oben rennen, hier rein, hörte noch das letzte Wort der Nachricht. Das ist das Einzige, was wir verändert haben.«
»Waren irgendwelche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, als Sie zurückgekommen sind?«
»Eine Menge. Immer eine Menge.«
»Für Stuart?«
»Ein paar. Eine Freundin aus den Staaten. Sie war mal hier. Und der Economist . Für den hat er mal gearbeitet. Das ist ein Magazin aus England.«
»Ich weiß.«
Pause, unsere Blicke trafen sich.
Ein Schluck aus der Flasche, mit zurückgeworfenem Kopf. Ein langer Hals. So ein entblößter Hals hat etwas Süßes und Verletzliches.
Sie setzte die Flasche ab. »Mehr als der durchschnittliche Anwalt so weiß«, sagte sie, »Mr. Irish.«
»Kommt drauf an. Manche sind extrem belesen, die anderen gehen in die Politik oder in die Kriminalität.«
Ich fand ihr Lächeln attraktiv. Und ermutigend.
»Seine Schwester hat ein paar Mal angerufen«, erzählte sie. »Und dann waren da drei oder vier Anrufe für Bradley. Ich hab alle Nachrichten ins Logbuch geschrieben.«
Ich schaute mich noch ein bisschen um. »War das Zimmer genau so, als Sie das erste Mal nach ihrer Reise hier reingekommen sind?«
»Ja. Nichts ist verändert worden. Nur abgestaubt, das ist alles.«
»Nichts auf dem Tisch? Die Papierkörbe leer? Die Aktenschränke leer?«
»Ja. Er hatte gerade Großputz gemacht. Ich weiß nicht, wie's mit den Aktenschränken war, hab sie nie offen gesehen.«
»Das Großreinemachen, war das ungewöhnlich?«
»Würde ich schon sagen. Zwei Mal im Monat war absolut ungewöhnlich. Zwei Mal im Jahr war schon eher normal. Er hat dann immer diese riesigen orangfarbenen Laub-säcke gekauft.«
»Also hatte er etwa zwei Monate vorher gründlich aufgeräumt?«
Lyall nickte. »Ich hab ihm noch geholfen, die Säcke ins Auto zu packen. Fünf waren es. Er hat sie irgendwohin zum Schreddern gebracht. War ein bisschen paranoid mit seinem Papiermüll.«
»Wo würde er denn seine persönlichen Unterlagen aufbewahren? Bankauszüge, Kreditkartenbelege, Rechnungen, Quittungen, solche Sachen? Steuerunterlagen?«
»Davon war was in den
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